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  • Der Klang der Großstadt. Eine Geschichte des Hörens. Wien 1850–1914 von Peter Payer
  • Erhard Schü
Der Klang der Großstadt. Eine Geschichte des Hörens. Wien 1850–1914. von Peter Payer, Wien, Köln, Weimar Böhlau 2018. 313 Seiten + 54 s/w Abbildungen. €29,00.

,,Alle großen Städte haben ihren eigenen Geruch. Budapest riecht nach Ersatz-Kaffee, Wien nach Gebäck, Berlin nach Rauch, Warschau nach Karamelzucker, Madrid nach Schokolade, Brüssel nach Vanille, London nach Talg, Paris hingegen roch nach geschmolzener Butter." Was der ungarische Autor Dezsö Kosztolányi (,,Bandi Cseregdi in Paris, im Jahr 1910", in: D. K, Die Abenteuer des Kornél Esti, Berlin 2006: 80) für die Vergangenheit, um die es hier geht, behauptete, mag noch angehen. Aber wie steht es um die Spezifik der Akustik, der Geräusche, des Lärms der Städte? Hätte die sich damals—um erst gar nicht Von heute zu sprechen—unterscheiden lassen? Gewiss, [End Page 629] pauschal ließen sich damals recht gut katholische Von protestantischen Städten unterscheiden, an der Intensität des Glockengeläuts. Aber im je speziellen Falle? Offenbar hatte Chicago damals einen ganz eigenen Ton, den der Schlachthöfe. Jedenfalls hörte ihn der Sozialist Arthur Holitscher 1912 heraus: ,,Wirklich, über der Stadt liegt ein dumpfer, sakkadierter [stoßartiger] Lärm, ein unter- und oberirdisches Rollen, ein Pulsschlag, der sich wie ein nie aufhörendes Teppichklopfen anhört." (A. H., Amerika. Gestern und Morgen, Berlin 1912: 293f.) Ähnlich 1927 Richard Katz (Ein Bummel um die Welt. Zwei Jahre Weltreise auf Kamel und Schiene, Schiff und Auto, Berlin 1927: 273), der ansonsten den Lä für eines der drei Gesichter Luzifers hielt (Drei Gesichter Luzifers. Lärm, Maschine, Geschä, Erlenbach 1934). Doch für Berlin, das seinerzeit gerne mit Chicago verglichen wurde, ehe es sich größenphantastisch anmaßte, das deutsche New York zu sein, galt das längst nicht. Hier war der zentrale Schlachthof keine zentrale Lärmquelle. Indes gelangt man Von hier aus schnell zu einer der allen Städten eigenen Geräuschquellen, nämlich die des—sagen wir es neutral—allenthalben innerhalb der Mauern verarbeiteten Viehs. Ehe in Wien aus Anlass der Weltausstellung 1873 eigene Gleisverbindungen direkt zu den Schlachthöfen gebaut wurden, wurde auch hier das Vieh durch die Stadt getrieben. ,,Eine nicht zu überhörende animalische Klangspur" nennt Peter Payer das ,,Gebrüll und Gestampfe Von Ochsen, Schweinen, Schafen oder Kälbern" (89). Allfälliger freilich war das edlere Getrappel und Gewieher der Pferde. Ehe die Straßenbahn zur ,,Elektrischen" wurde, waren das deren Zugpferde, wie überhaupt Zug- und Reitpferde. Imaginieren kann man die Dominanz dieser Tonspur, wenn man liest, dass um 1900 ca. 42.000 Pferde in Wien gemeldet waren—noch ungerechnet der Pferde des Hofs und vor allem des Militärs. Die Elektrifizierung und dann Benzin-Motorisierung führten nicht nur zu einer neuen Tonart im Lärm der Stadt, sondern auch zur Kollision mit den Pferden. Spektakulär der Tod Von Erzherzog Wilhelm 1894. Dessen Fuchswallach hatte ihn beim Geräusch einer nahenden Straßenbahn jäh abgeworfen. Tragisch daran, dass der Erzherzog eigens ausgeritten war, um sein Pferd an die neuen Töne zu gewöhnen. Neben den Signalpfeifen und -bimmeln war das vor allem das Quietschen der Räder in den Schienen. ,,Elektrische Bahnen rasen läutend durch meine Stube" hatte Rilkes Malte Laurids Brigge 1910 in Paris notiert. Hier finden sich die entsprechenden Wiener Gegenstücke. Doch auch, so Rilke: ,,Automobile gehen über mich hin." Noch lärmiger erschien den Zeitgenossen nämlich eben dies, die zwar allmähliche, aber unaufhaltsame Bestückung der Stadt mit Automobilen. Sie war ein besonderer Stimulus der sich schnell verbreitenden Lärmschutzbewegung (ausführlich dargestellt 141–75). Getragen wurde die Bewegung freilich vorzugsweise Von eben jenen Wohlhabenden, die sich möglichst bald ein Auto zulegten, einstweilen vornehmlich aus Prestigegründen. (Eine besondere Rolle spielte im Lärmkampf der Philosoph Theodor Lessing.) Abhilfe suchte man in der Sommerfrische, um in deren abgeschiedener Ruhe die neurasthenische Verfassung wieder aufzupolieren. Doch brachten die Wiener dorthin den heimischen Lärm mit, mit der Bahn oder den Autos, die sie dorthin brachten, mit den...

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