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  • Editorial:Reenacting Religion - Reacting to Religion. Vom Wiedererzählen und Wiederaufführen »religiöser' Praxen
  • Julia Stenzel (bio)

In seinem Titel beansprucht das vorliegende Themenheft eine Beobachtungskategorie und mit ihr eine Heuristik, die in Geschichts-, Kunst- und Theaterwissenschaft bereits seit einiger Zeit etabliert ist, sich einer präzisen Definition jedoch eigentümlich zu entziehen scheint: „Der Begriff Reenactment wurde auf vielfältige Weise aufgegriffen, gewendet und weitergereicht. Seine Kontur ist dadurch nicht eben schärfer geworden", konstatieren Jens Roselt und Ulf Otto in der Einleitung zu ihrem Band Theater als Zeitmaschine.1 Angesichts dieses Befunds biete er sich mehr für die Etablierung eines interdisziplinären Diskussionsrahmens an denn für die Lokalisierung und definitorische Einhegung eines spezifischen, eigengesetzlichen Phänomens. Diesseits aller möglichen Differenzierungen freilich scheinen die unterschiedlichen begrifflichen Varietäten von ‚Reenactment' eine performative Wiederholung historisch gewordener Ereignisse zu implizieren, die mehr ist und anders funktioniert als eine Darstellung im Modus des ‚als ob'; einer Wiederholung, die das wiederholte Geschehen wieder erlebbar machen will,2 die sich aber von ritualisierten Formen der Repetition durch ein Moment der markierten Inszenierung unterscheidet. Doch Reenactments beziehen sich nicht etwa nur auf Vorhergegangenes; sie bringen es immer auch in eine Ordnung, die die Ordnung der Gegenwart ihrer Akteure ist. In dieser Allgemeinheit bildet der Begriff die Folie für das vorliegende Heft; und als formalisierte Bezeichnung auch eine Beschreibungskategorie für historische Formen des Umgehens mit rituellen Praxen, deren (etwa: religiöse) Grundlage ihre Selbstverständlichkeit verloren hat.3 Damit bezieht sich der Begriff hier nicht in erster Linie auf künstlerische Formen im Feld der jüngeren Performance Art und auch nicht auf Reenactments einmaliger historischer Ereignisse (Schlachten, Revolutionen, Tribunale), sondern - komplementär dazuauf Skansionen und Unterbrechungen in zyklischen Wiederholungslogiken, mithin auf Momente, in denen solche Wiederholungslogiken ihre Verbindlichkeit einzubüßen drohen. In diesem Sinne ist die Figur des Reenactment nicht historisch, als spezifische „zeitgenössische Geste"4 und als Signatur des späten 20. und des 21. Jahrhunderts zu begreifen, sondern funktional, als eine Geste der Unterbrechung überkommener, auch der Etablierung neuer, anderer Formen ritueller Repetition: Während rituelle (und auch konventionale) Praktiken Vergangenes immer wieder als Gegenwart realisieren und aus der Wiederholung dessen, was immer schon und immer ‚richtig' war, ihre Legitimität beziehen, schließen Praktiken des Re-Enacting in der Wiederholung eine unhinterfragte Zyklizität ab und übersetzen sie in eine Logik der Diskontinuität. Das Reenactment erscheint in dieser Perspektive als Reaktion auf Ritualität und als Markierung ihrer (historisch, kulturell oder anders) begründeten Grenzen.

Für die Schärfung des Begriffs, wie er hier verwendet werden soll, ist ein kurzer Blick auf seine Präfixe geboten. So zeigt das ‚Re' eine Praxis des Ins-Verhältnis-Setzens an: „Zeichnet sich ein Reenactment doch gerade dadurch aus, dass es eine Größe gibt, die ‚vor' dem zu untersuchenden Reenactment ‚da' war und die Möglichkeitsbedin-gung [End Page 81] für dieses stellt."5 Interessanter noch als das von der Forschung immer wieder diskutierte erste scheint jedoch für den hier in Frage stehenden Kontext das zweite Präfix, ‚en': Mit ihm steht nicht mehr im Fokus, wie ein Handlungszusammenhang und dessen Reenactment korreliert sind, sondern vielmehr, welche Aktanten wie in den Prozess des Reenactments involviert sind. Reenactments können

als Rekonstruktionsaufgabe verstanden werden, die nicht so sehr den Vergleich zwischen RI und R2 fokussiert (Re-), sondern die spezifische Versammlungsarbeit als Fragliches begreift, die von RI zu R2 führt (-en-). Damit ist man dann auch in der Lage, das Gemeinsame der Praktik und nicht ihre je unterschiedlichen Gegenstände zu fokussieren.6

Die Beiträge des Heftes nun folgen dieser Aufforderung des ‚en-'; sie machen es sich zur Aufgabe, Formen der performativen Transformation, der medialen Übersetzung, der Re-Narration von Praxen, die als religiös' in den Blick kommen, in veränderten soziographischen, kulturellen und historischen Kontexten nachzuspüren. Sie orientieren sich dabei an der Figur der Repetition als Wiederholung, als Wieder-Tun, aber auch als Wieder- und Neuerzählung. Dabei lassen sich die Beiträge auf vier Reflexionshorizonte beziehen: Sie fragen nach Rahmungen und Rahmenwechseln, Kommentaren und Emphasen, Umcodierungen und Struktur transfers, nach Invention of Tradition und Self-Fashioning.

Dieser vier Leitperspektiven...

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