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  • Wie Fremde Fremde sehen. Selbstreflexion und Selbstverortung jüdischer Identität in der Literatur by Peter Waldmann
  • Martin A. Hainz
Peter Waldmann, Wie Fremde Fremde sehen. Selbstreflexion und Selbstverortung jüdischer Identität in der Literatur. Wien: Mandelbaum Verlag, 2018. 323 S.

Wie sehen “Fremde Fremde”? Peter Waldmann versucht unter diesem Titel zu verstehen, wie jüdische Identität sich literarisch konstituiert, wobei der exzessive Einsatz von Theorie problematisch wie reizvoll ist. Die Gefahr, dass so die Texte, die beantworten sollen, was Fremde sein solle, und wem, oder auch: was Fremde sein sollen, erdrückt werden, besteht. G. W. F. Hegel (51), Erich Auerbach (9), Hannah Arendt (89), Michel Foucault (15), Jean Baudrillard (101), Waldmann zitiert alles zu jedem. Lässt man sich aber darauf ein, funktioniert das Spiel.

Es funktioniert, denn in der Tat hat der Autor eine gute Hand, wenn er Theorien und Texte zueinander in Beziehung setzt, den Theoretiker durch die Formulierung verschärft oder die Formulierung durch die Theorie sozusagen in ihrer Tragweite skizziert.

Manchmal ist es auch die Produktionsbedingung, die Theoretiker oder Werke erklärt—so beginnt alles, nämlich mit der Not, aus der Auerbach, als er seine berühmte Studie zur Mimesis verfasste, eine Tugend machte. Die “schlecht sortierte Universitätsbibliothek in der türkischen Hauptstadt” (9) habe dem Buch aus Istanbul zur Fokussierung verholfen, er habe mangels [End Page 186] Quellen “Werke [ . . . ] aus dem engen Kontext philologischer Narrative” (9) gehoben, wie es ähnlich andere Exilierte tun mussten, so Simmel, so Benjamin, so Adorno (9). Diese produktive Verzerrung schildert Waldmann, er macht sie aber auch zu seiner Methode, in Schlaglichtern, auch wenn deren Zahl wie angedeutet sie zuerst diffus erscheinen lassen kann. “Der Baum der Erkenntnis wird [ . . . ] zum Mast des Narrenschiffs” (15), so formuliert er es in Anlehnung an Foucault. Von ihm übernimmt er auch, dass das Sediment vom Menschen im allzu totalen—oder: totalitären—Text manchmal allein wahr ist, wo die Fragmente etwas sprechen lassen, die “Zeugnisse der Unterdrückten” (16), wie es mit Das Leben der infamen Menschen heißt.

In Deutschland sei dieses Problem verschärft, weil noch die Wohlmeinenden dem Judentum als Fürsprecher oft die Stimme zu nehmen scheinen: “Berufs-fast-Juden” (17), wie es Bodemann ausdrückte, die dann auch eine eigentümliche und hier mit großer Genauigkeit geschilderte Vorliebe für die ermordeten Juden auszeichne: Ihrer gedenkt man nicht zwingend um ihrer willen, sondern, “um der Welt zu beweisen, dass [ . . . ] (die Berliner Republik) in der westlichen demokratischen Gemeinschaft angekommen” (22) sei. Maxim Biller mache also zurecht “deutlich, dass der für sich selbst sprechende und [ . . . ] lebendige und vielleicht auch aggressive Jude” dagegen jenen, die so vorgehen, zu nichts nütze, ja “gleichsam unerwünscht” (22) sein könne.

Diesem Marginalisieren und insofern der Fremde als dem, was verklärt wird und von den Fremden entweder verworfen und/oder angepasst bzw. entstellt wird, oder aber verteidigt, folgt Waldmann nun. Das Konzept des “Habitus” (42) von Panofsky und hernach Bourdieu zeigt dabei, wie Assimilation funktioniert: “Der Körper denkt immer” (44), wie es mit Bourdieus Worten heißt, genauer spricht alles, alles ist lesbar, so Gumpelino bei Heinrich Heine. Dieser betont, wie wenig ihm Geld bedeute, aber in einer Weise, die zeigt, dass er doch immer nur “von den Preisen spricht” (46), er kennt denn auch alles, was Fetisch ist: Autoren, die kanonisch sind, Werke, Virtuosen. “Die Anpassung wird so zum Kriterium des Ausschlusses” (47), wobei der Antisemitismus dies betont, der gerade am assimilierten Juden notfalls auch inexistente Differenzen vorfände. In einer Posse Sessas, die sich im rassistischen Ressentiment erschöpft, beschwert sich der Jude, er “hob doch gor nischt Jüdisches” (48).

Gumpelinos “Assimilationstragik” (48) sieht dagegen Heine, der ihn—welcher sich als Gumpel einst einen Namen gemacht hatte und sich nun als Marchese mit der pseudoitalienischen Verkleinerungsform als Namen [End Page 187] blamiert—im Kontrast zu Lümpchen analysiert, einem Bettler, der statt Besitz und Ehrgeiz “Souveränität sein Eigen nennt” (49).

Solche Assimilationsbestrebungen und Emanzipationen verfolgt die Studie Waldmanns bis unter anderem nach Ost-Galizien, also nach Halb-Asien, wo dem “imperialistischen Orientalismus” Kakaniens und Deutschlands “Asien [ . . . ] für Barbarei und Unterentwicklung” (70) steht, was Karl-Emil Franzos als...

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