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  • Unter dem Neigungswinkel. Celans biographische Poetologie by Hans Graubner
  • Martin A. Hainz
Hans Graubner, Unter dem Neigungswinkel. Celans biographische Poetologie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2018. 176 S.

Der vorliegende Band ist eine Studie zu Paul Celan und dem Verhältnis seines Werks zu seinem Leben, wobei aber weder das Werk Schlüssel zu seiner Biographie sein soll, noch umgekehrt das Werk vulgärbiographistisch erklärt wird. Meist gelingt das dem Autor auch, teils freilich, weil beides, Werk und Leben, dann doch unvermittelt nebeneinander referiert werden.

Schlüssel und Schloss soll das Gedicht zuletzt sein, man ist also im Bereich doch der immanenten Werkanalyse, das “Gedicht” sei es, das seine “Aufmerksamkeit [ . . . ] allem ihm Begegnenden zu widmen versucht” (7), so schreibt Graubner mit Celan, der dies mit Malebranche formulierte, man müsse also nur das Gedicht nachvollziehen. Es geht um dessen “Haltung” (8) und die des Lesers. Diese wird dann nicht vereinnahmend als jene des Gebets verstanden, was Celans Formulierung nahelegte—“Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele” (7)—, denn einer Theologie ist Auschwitz “dazwischengekommen” (13), wie Graubner es mit Celans Wort sagt, wie jener um Dezenz und Nüchternheit bemüht: “Schreiben ist nicht Beten und das Gedicht ist kein Gebet” (14).

Das Gespräch aber sei geblieben, da mit Karl Barth freilich theologisch doch aufgeladen. Gott “als der ganz andere” (17) ist Herausforderung zur Theologie, die gescheitert sein müsste—oder daran scheiterte, sich nicht verstanden zu haben? “Das Gedicht will zu seinem Gegenüber” (17), statt der Theologie und gegen die, die es ersetzt, mit der es sozusagen Ernst macht. Das Gericht ist kein imaginäres jüngstes, sondern die Mutter: “Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim/den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?” (27). Und da wird es eben dann biographisch, daran muss sich das Gedicht bewähren, an der Bewährung es bemessend verstehe man es.

Der “Neigungswinkel” (35) sei damit gegeben, den Graubner zeitgeschichtlich und biografisch sowie am Werk rekonstruiert, wobei er sich im Gedicht zugleich konstituiert. Dieses bemisst ihn selbst an sich, etwa in Schwarze Flocken, jenem Gedicht, das Graubner als erstes einer Lektüre unterzieht, um aus den Lektüren als Konstellation den Blick auf Celan zu schärfen (47).

Den “Hauch, ach des Sommers” (47), ihn finde das lyrische Ich. Das ist der “Auftrag der Toten” (47), den Wiedemann sieht, wogegen dieser Graubner anders zu lauten scheint: Man müsse dieses Bild auch durchschauen, die [End Page 176] “Wahrheit des Sommers ist der Winter” (54), die Erinnerung muss oder müsse das in Absetzung von Wiedemann (55) verstehen, “dass das Ich zu erfüllt [ . . . ] von diesem Bild” ist, jenem der “lebendige(n), sommerliche(n) Mutter”, um “der Gegenwart der Toten gerecht zu warden” (55).

Immer wieder wird so das Äußere als Impetus des Gedichts doch von diesem gelesen, von dem, was den Anstoß ermöglicht, aufgibt und auszutragen beginnt, als “innere Datierung”, wie man es mit Peter Szondi und vor allem mit Jacques Derridas Schibboleth-Text zu Celan sagen könnte. Schreibend—und lesend—müsste man diese “abbüßen”, als “Überlebensschuld” (85), wie Graubner das bekannte Dilemma der (subjektiven wie verheerenden) survivor’s guilt hier einbezieht.

Das versucht Graubner mit klassischen Instrumenten, bei oft spannenden Lektüren, die einer “»Sch«-Alliteration” (88) du ähnlichem folgend das Gedicht Du darfst auslegt, um daraus eine subtile Gedächtnispolitik zu entwickeln. Dazwischen werden die Gedichte zueinander in Beziehung gesetzt, wobei diese nahelege, dass wiederum “Gedichte [ . . . ] besprochen warden” (111), der hermeneutische Zirkel wird angewandt und aus der Anwendung als Methode, derer es bedürfe, abgeleitet.

Ich kenne dich ist eines der Gedichte, das in der Folge gelesen wird, jenes Gedicht, das, wie oft bemerkt wurde, eine Pietà evoziert (130), etwas Fremdes, etwas zugleich aber zutiefst Privates, wenn man bedenkt, dass “der Durchbohrte” (124) Celan gleicht, der den Versuch eines Herzstichs knapp überlebte. Das Gedicht, einmal mit und einmal ohne Klammern erschienen (125), ist Teil in einem “Gedankenprozess” (125) und hat einen intimen “Widmungsanlass” (125), was keine Antithese ergibt. Auch die Gleichzeitigkeit von “Liebesgedicht” (129) und einem, das “durch [ . . . ] alle Schichten des Du bis hin zur toten Mutter” (129) reiche, ist kein Gegensatz, aber was ist es?

Das beantwortet Graubner...

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