In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Performances zur Sprache bringen. Zur Aufführungsanalyse von Performern in Theater und Kunst by Denis Leifeld
  • Isa Wortelkamp (bio)
Denis Leifeld. Performances zur Sprache bringen. Zur Aufführungsanalyse von Performern in Theater und Kunst. Bielefeld: transcript 2016, 306 Seiten.

Zeitgenössische Performance konfrontiert das Publikum mehr denn je durch „Momente der Irritation, Überforderung, Faszination und des Erstaunens“ und damit mit der Schwierigkeit, sie „zur Sprache zu bringen“ (S. 19). Diese Beobachtung veranlasst Denis Leifeld dazu, sich in seiner Dissertation mit der Frage nach der sprachlichen Darstellung von „Phänomenen des Unbegreifbaren“ auseinanderzusetzen. Damit schließt der Verfasser unmittelbar an die methodologische Diskussion zum Umgang mit dem Transitorischen an, die den theaterwissenschaftlichen Diskurs um die Aufführungsanalyse wesentlich geprägt hat. Die Rede vom Unbegreifbaren wird dabei zum (neuen) Topos des Undarstellbaren, dem der Verfasser in umfangreichen Darstellungen seiner eigenen Aufführungserfahrungen Raum gibt.

Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Performance La Mélancolie des Dragons von Philippe Quesne (2008), in der die Performerin selbst zur Zeugin des Geschehens wird und die Vorgänge auf der Bühne mit Ausrufen des Erstaunens und der Verwunderung kommentiert, die die Erfah-rung des Unbegreifbaren begleiten. In einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Erhabenen (u. a. Kant, Lyotard, Mersch, Seel, Welsch) begründet Leifeld im Folgenden eine „Ästhetik des Unbegreifbaren“, durch die jene Darstellungsformen beschreibbar werden sollen, die die Wahrnehmung irritieren, „zu einem Problematischwerden kognitiven Begreifens führen und Gefühle der Überwältigung, Faszination und des Schocks auslösen“ (S. 102). Dabei werden theaterwissenschaftliche Konzepte wie „Liminalität“ (Fischer-Lichte), „markanter Moment“ (Roselt) oder „intensive Erfahrung“ (Lehmann) in die Argumentation einbezogen und bilden den Hintergrund für die methodischen Ausführungen (Kapitel 2), die der Verfasser ausgehend von seiner eigenen Beschreibung am Beispiel der Straßenperformances der Cosplayer in Tokyo (2009) entwickelt. Sie zeichnet sich durch ein „nahes Beschreiben“ aus, dessen Qualität in einem plastischen Einfühlen in ein vergangenes Geschehen liegt, das in der Beschreibung durch geeignete sprachliche Mittel re-inszeniert wird (S. 151). Diese umfassen etwa den Einsatz vieler Gedankenstriche oder Kommata, kurze Beobachtungsketten, fragmentarisch und assoziativ anmutende Textpassagen, die Aneinanderreihung sowie Häufungen von Adjektiven, Verben und Substantiven. Der Gestus ist von einer suchenden und schwebenden Bewegung gekennzeichnet, die stets verschiedene Möglichkeiten der Annäherung offenhalten will (S. 181). Anders als das „analytische Schreiben in Distanz“ zeichne sich die „nahe Beschreibung“ durch eine theoretisch wie begrifflich voraussetzungslose Auseinandersetzung mit der Aufführung aus. Stattdessen vermittelt sich ebenso wie in der Lektüre der folgenden Textbeispiele zu Hey Girl (2007) von Romeo Castellucci und The Cradle of Humankind (2012) von Steven Cohen ein geradezu kindlich anmutendes (und austauschbares) Staunen, das in wiederkehrenden Fragen und Ausrufen wie „Was ist da was?“, „Ist da – da ist – nein, nichts [. . .]“, „Ist das – männlich oder weiblich?“, “Dann, da ist es wieder“, „– und – was ist das? –“, „– was war das?“ Ausdruck erhält. (S. 220 f). In dieser Nähe, „die durch sprachliche Strategien beinahe gewalthaft erzeugt werden“, liege „die Stärke des hier angewandten Schreibens“ (S. 240). Dabei bezieht sich der Verfasser in seinen Beschreibungen meist auf die gesamte Aufführungssituation, während dem Performer, sowohl in den Beschreibungen als auch in der methodologischen Reflexion einer [End Page 210] möglichen „Analyse von Performern“ (Kapitel 3) vergleichsweise wenig Raum geschenkt wird. Das „nahe Beschreiben“, das der Verfasser als Performative Describing von dem Konzept des in den 1990er Jahren im angloamerikanischen Raum entstandenen Performative Writing abgrenzt, wird gegenüber einem analytischen Schreiben bevorzugt, das durch theoretische Fragestellung den Gegenstand einzuengen und das Unbegreifbaren zu glätten drohe (S. 194).

Wenngleich dem Verfasser der „theoretische Begriff im Vergleich zur Frage des Beschreibens eher nebensächlich“ erscheint (S. 252), ist der theoretische Horizont, den er für seine Studie wählt, weit gefasst. Im Rekurs auf aufführungsund performancetheoretische Positionen (Bormann, Schneider) wird das Unbegreifbare dabei als ein Phänomen gedacht, dessen Wirksamkeit sich nicht nur auf den Moment der Begegnung bezieht, sondern sich vor allem im Nachtrag entfaltet (S. 117). In dieser aufführungstheoretischen Perspektive liegt eine Qualität der vorliegenden Studie, die den Fokus von der auf die Dauer der Aufführung begrenzte Erfahrung des Zuschauers auf die Zeit danach erweitert.

Das Potential...

pdf

Share