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Reviewed by:
  • Rhythmus – Balance – Metrum. Formen raumzeitlicher Organisation Hg. Christian Grüny, Matteo Nanni
  • Maren Butte (bio)
Christian Grüny und Matteo Nanni (Hg.). Rhythmus – Balance – Metrum. Formen raumzeitlicher Organisation (= Edition Kulturwissenschaft Band 30). Bielefeld: transcript 2014, 214 Seiten.

Der Sammelband Rhythmus – Balance – Metrum, der auf eine internationale Tagung im Kontext des NFS eikones/Bildkritik an der Universität Basel zurückgeht, denkt über den Rhythmus als einer raumzeitlichen Organisationsform in unterschiedlichen Kontexten, den Künsten, Philosophie [End Page 206] und Kulturgeschichte, nach. Acht Beiträge nehmen in interdisziplinären Perspektiven, vor allem zwischen der Bildtheorie und der Musikwissenschaft, die traditionsreiche Diskussion über den Rhythmus als transgressivem Phänomen und Untersuchungsinstrument wieder auf. Und dies geschieht durch eine spezifische theoretische Position. Die gängige und oft normative Unterscheidung von Rhythmus, aus dem griechischen ῥυθμός Fließen oder „Prinzip der Bewegung“ im Sinne Platons, und Metrum – seit der Neuzeit oft gedacht als Messung und Teilung in regelmäßigen bis mechanischem (Takt-) Schlägen – wird hier revidiert und durch eine dritte Kategorie ergänzt: durch die Balance. Sie beschreibt eine „nicht-beliebige Ordnung von Verhältnissen“ und die „Organisation zeitlicher Gliederung und räumlicher Ausgewogenheit in geklärtem Verhältnis“ (S. 7). Die Balance dient den Herausgebern Christian Grüny und Matteo Nanni sowie den Beiträger*innen als ein „vermittelnder Begriff “ zwischen Metrum und Rhythmus und stellt eine „offene Frage der Ordnung, nach Konsistenz, Ausgewogenheit und Stimmigkeit“, in die auch Momente des Prekären eingelassen sind (vgl. S. 9). Der Vorteil dieser Dreierkonstellation ist, dass sehr präzise und vom Inneren einer dynamischen (Mikro-) Struktur aus über Verhältnisse in Bewegung zwischen Sichtbarem und Hörbarem, zwischen Bild und Klang nachgedacht werden kann. Sie ermöglicht mit dem Rhythmus als Gefüge die Spuren einer Lessing’schen Trennung der Raumund Zeitkünste zu überwinden und einer Zeitlichkeit des Bildes, wie sie Erwin Panofsky oder Gottfried Boehm für die Kunstgeschichte entwickelt haben, Rechnung zu tragen, ohne auf Begriffe und Konzepte wie Synästhesie oder Intermedialität zurückzugreifen.

Die zentrale Referenz dieser konzeptuellen Entscheidung bilden die Schriften des US-amerikanischen Philosophen des Pragmatismus John Dewey, der bedeutenden Einfluss auf das Black Mountain College hatte und für den die Balance eine zentrale Figur innerhalb seines Denkens von Kunst als Erfahrung (1934) bildet. Sein „energetisches Verständnis künstlerischer Gestaltung, das das Vorliegen von Verhältnissen nicht von der Erfahrung trennt“ (S. 8), löst die Trennung zwischen Produktion und Rezeption sowie zwischen alltäglichem und ästhetischem Bewusstsein auf und lässt Raum und Zeit als unterschiedliche Konstellationen denken. Vor dieser Folie lassen sich „Intervalle und Richtungen auf Bildern und Distanzen und Umfänge in der Musik“ hörensehen (ebd.). Es lassen sich materialisierende, ephemere Ereignisse im „Moment eines Auspendelns zwischen jeweiligen rhythmischen Gestalten“ identifizieren (vgl. den Beitrag von Steffen Schmidt, S. 10); und auch differenzierte Ereignisse und Wechselwirkung zwischen affektiven Zuständen und Milieus, also als (Dis-)Kontinuitäten (S. 11) denken.

Den Band durchzieht vor diesem Hintergrund eine differenzierte Wiederaufnahme des Diskurses in seiner Relationalität, entlang besonderer historischer Schwellen. Von der kulturhistorischen Betrachtung rhythmischer Ordnungen im Mittelalter (bei Jean-Claude Schmidt) über die Entstehung des Akzentstufentakts im Barock und den daraus resultierenden musiktheoretischen Unterscheidungen, über die vielfach geladene Rhythmusemphase der Moderne und ihren Spuren im Film der Postmoderne (Stanley Kubricks 2001), analysiert von Steffen Schmidt, bis hin zu zeitgenössischer Klanginstallation (bei Inge Hinterwaldner), Komposition und Notation (Steffen Mahnkopff) und Choreographie am Beispiel von Jonathan Burrows (Christian Grüny). Die Beiträge bilden je einzelne Momentaufnahmen des Rhythmus – Balance – Metrum-Gefüges, ohne eine Entwicklung oder Chronologie zu behaupten. Im Konkreten wird an einer theoretischen Bestimmung des „Rhythmus als Erfahrung“ weitergearbeitet: Grüny schlägt mit Dewey eine Definition von Rhythmus als Erfahrungsmodus und Geste vor, als „patterns of change“ und „in sich gespannte Gestaltung von Zeitlichkeit“, von der die wellenförmig gestaltete Regelmäßigkeit des Takts ein besonderer Fall sei (S. 90). Dieses Denken findet eine Entsprechung in den Begriffen, die Mahnkopff und Christopher Hasty aus je unterschiedlichen Perspektiven und Lektüren entwickeln: eine „Abfolge von Dauern“ (Mahnkopff, S. 102) und ein „course of events“ mit „dauerhafter Aufmerksamkeit“ (Hasty, S. 155, 157). Und auch Erwähnungen und Lektüren...

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