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  • Querelle, Begräbnis, Wiederkehr. Alain-René Lesage, der Markt und das Theaterby Martina Gross
  • Katharina Keim (bio)
Martina Gross: Querelle, Begräbnis, Wiederkehr. Alain-René Lesage, der Markt und das Theater. Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. Band 358, Heidelberg: Universitätsverlag Winter2016, 378 Seiten.

Die Auseinandersetzung mit der Theater-geschichte der Frühen Neuzeit, insbesondere mit der Frankreichs, ist in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft eher eine Seltenheit. Umso begrüßenswerter ist daher das Erscheinen von Martina Gross' Frankfurter Dissertation zum Pariser Jahrmarktstheater im frühen 18. Jh.

Gleich nach der Vertreibung der italienischen Truppe aus Paris 1697 etablierte sich auf den Jahrmärkten Saint Germain und Saint Laurent eine von diesen inspirierte Theaterkultur, das „Théâtre de la foire". Auf Betreiben des mit dem Sprechtheater-Privileg ausgestatteten Théâtre Français wurde den Jahrmarkttheatern ein Dialog- und später gar ein Sprechverbot auferlegt. Der damit verbundenen Beschränkung ihrer Darbietungen auf Pantomime und „Pièces à écriteaux" (stumme Stücke mit Texttafeln) entgingen die Jahrmarktstheater, indem sie der finanziell maroden Oper deren Privileg für Musiktheater und Ballett teilweise abkauften. Ende 1714 erhielten sie schließlich ein Privileg für die sog. „Opéra comique". Dieses Genre entzog sich jeglicher gattungstheoretischen Festlegung, vielmehr bezog sich die Bezeichnung in erster Linie auf den Aufführungsmodus mit tänzerischen und musikalischen Einlagen, bei denen auch das Publikum mitsingen konnte. In dieser Akzentuierung der Aufführung liegt der besondere Reiz des Jahrmarktstheaters. Zwischen 1718 und 1721 wurden dem Jahrmarktstheater, das mittlerweile in der Gunst des Pariser Publikum und des Hofs ganz oben stand, auf Betreiben der Sprechtheater (dem Théâtre Fran-çais und dem 1716 vom Regenten wieder in die Hauptstadt zurück berufenen, ebenfalls privilegierten Théâtre Italien) das Privileg der „Opéra comique" kurzzeitig jedoch wieder entzogen. Dieser sog. „Theaterkrieg" dokumentiert sich in einer metatheatralen Trilogie des Theater-autors Alain-René Lesage (1668–1747) und seiner diversen Ko-Autoren. In Form eines Prologs ( Querelle, 1718) und zweier einaktigen „Opéras comiques" ( Begräbnis/ Funerailles, 1718, und Wiederkehr/ Rappel, 1721) wird die Auseinandersetzung zwischen Jahrmarkttheater und privilegierten Bühnen theatral verhandelt.

In der Konzentration auf eben diese zentrale Episode der Geschichte des Jahrmarktstheaters und die Verwendung dieser drei Stücktexte als theaterhistorisches Quellenmaterial liegt die besondere Originalität und Stärke der Studie von Gross (vgl. hierzu bes. Kap. 2 und 3). Dadurch wird zum einen eine werkgeschichtliche Vorgehensweise vermieden. Zum anderen ermöglicht die Fokussierung auf diese Textbeispiele, das Prinzip der Parodie als innerästhetisches Verfahren (z. B. durch das variierte Zitat klassischer Theaterautoren, wie etwa Racine) und das körperlich-gestische Potenzial dieser Texte, auf denen letztlich der performative Charakter des Jahrmarkttheaters basiert, zu verdeutlichen.

Trotz dieses gelungenen Ansatzes ist die Studie von einer gewissen methodischen Unsicherheit geprägt. Zwar wird in der Einleitung auf das theaterhistoriographische Modell des „anderen Theaters" von Rudolf Münz rekurriert, gleichzeitig aber keine historische Kontextualisierung unternommen, um das spezifische „Theatralitätsgefüge" jener Epoche zu umreißen. So findet etwa die spezifische Konstellation der Régence, die ja nur um den Preis einer Wiedererstarkung des Parlaments von Paris gegenüber der Krone durchgesetzt werden konnte, kaum Erwähnung. Stattdessen wird durchgängig von einer Opposition zwischen dem Jahrmarktstheater und dem sogenannten „Hoftheater" argumentiert, wobei unter letzterem vor allem das von der sog. „doctrine classique" geprägte Sprechtheater Racines (statt dem „ballet de cour") verstanden wird. Allerdings spielte dieses schon in der späten Regierungszeit von Ludwig XIV. kaum mehr eine tragende Rolle. Das im 17. Jahrhundert vorherrschende, nationale und absolutistische Zwecke verfolgende Repräsentationstheater hatte nach 1700 seine Funktion längst ausgespielt. Gleichzeitig zeichnete sich das Aufkommen eines bürgerlichen Theaters, in dessen Kontext die Evolution neuer Theaterformen zunächst ansatzweise verortet wird (S. 65), erst nach 1750 ab. Letztlich erkennt Gross im Jahrmarkttheater Lesages lediglich „eine spezifische Widerständigkeit […], die sich gleichermaßen dem klassischen [End Page 97]wie auch dem bürgerlichen Kanon versperrt." (S. 203) Die Frage nach dem kulturpolitischen Impetus des populären Jahrmarkttheaters, dessen Publikum sich aus allen Gesellschaftsschichten rekrutierte, bleibt so letztlich unbeantwortet. Dabei könnte gerade die (sicherlich nicht nur ökonomisch, sondern auch ästhetisch bedingte) Allianz mit der Oper wie auch die Protektion des Jahrmarkttheaters...

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