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Reviewed by:
  • Theater entwickeln und planen. Kulturpolitische Konzeptionen zur Reform der darstellenden Künste ed. by Wolfgang Schneider
  • Mara Ruth Käser (bio)
Wolfgang Schneider (Hrsg.). Theater entwickeln und planen. Kulturpolitische Konzeptionen zur Reform der darstellenden Künste. Bielefeld: transcript Verlag 2013, 318 Seiten.

An Diagnosen über den Zustand des deutschen Stadt- und Staatstheatersystems mangelt es nicht. Der Patient scheint in einem dauerhaft kritischen Zustand zu sein. Symptombeschreibungen sind jedoch nur begrenzt hilfreich, weswegen der vorliegende Band Vorschläge für grundlegende Reformen aus den Kultur- und Theaterwissenschaften skizziert. Wolfgang Schneider, Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim, verfolgt mit seinem Sammelband zu Reformvorschlägen und Neu-Konzeptionen der deutschen Theaterlandschaft den Ansatz einer anwendungsbezogenen Kulturpolitikforschung. Der Band spricht in seiner Verbindung von Theorie und Praxis Kulturwissenschaftler, Theaterschaffende und Kulturpolitiker gleichermaßen an.

Die Beiträge verteilen sich auf drei Kapitel, die sich in die Themen Reformbedarf, Vermittlung und Audience Development sowie Strukturplanung im weiteren Sinne einteilen lassen. Auffallend sind die Dichotomien, die den Band durchziehen: der alte (vermeintliche) Gegensatz von Kunst und Kommerz, die Segmentierung zwischen Stadttheater und freiem Theater sowie die strukturell andere Logik der Projektförderung im Vergleich zur institutionellen Förderung von Theater. Allein das Publikum wird als verbindendes Element ausgemacht.

Gleich im ersten Kapitel zum Thema „Theater reformieren" hinterfragt Christopher Balme in seinem Beitrag die Unvereinbarkeit des deutschen Theatersystems mit den Phänomenen der Globalisierung und der Kulturindustrie. Er öffnet einen historischen Blick auf die Anfänge des deutschen Theaters als Gewerbe und dessen Transformation in den Status einer öffentlichen Dienstleistung. Erst zwischen 1914 und 1938 wurde das privatwirtschaftliche System kommunalisiert und durch öffentliche Gelder gefördert. Am Beispiel des National Theatre London fragt Balme nach einem dritten Weg (vgl. Giddens und New Labour) eines Repertoiretheaters, das auch nach marktwirtschaftlichen Kriterien operiert.

Die diskursive Trennung zwischen Kunst und ihrer kommerziellen Verwertung sowie ihre damit befürchtete Normierung und Verflachung führt Peter Marx zu der Frage nach der Legitimation von Subventionen. Diese stellen für ihn ein unbedingtes Mittel der Kommunikation und Teilhabe dar, da „sie einen zutiefst sozialen Kern haben: Sie sichern vor allem die Zugänglichkeit zu Kultur, unabhängig vom individuellen Einkommen" (S. 66).

Eben jene Förderung klassischer Infrastruktur befindet sich laut Thomas Oberender seit dem Ende der 1990er Jahre in einem Prozess der Auflösung – zugunsten einer evaluierbaren Projektförderkultur. Der Intendant der Berliner Festspiele sieht diesen in der allgemeinen Deregulierung der Gesellschaft begründet. Ein roter Faden kann in Bezug auf die historischen Perspektiven der Transformation des deutschen Theatersystems identifiziert werden, denn auch im beginnenden 21. Jahrhundert ist die Politik so potenziell wirksam wie nie, indem sie jetzt die Rahmenbedingungen für die Förderung der darstellenden Künste festlegt. Oberender vertritt die These, dass durch die ab 2020 geltende Schuldenbremse die Projektförderung langfristig die institutionelle Förderung verdrängen wird.

Auch wenn zwischen den Autoren des zweiten Kapitels zur Vermittlung kein einheitlich definierter Begriff von Publikum existiert, so wird dem Stadttheater doch ein gestörtes Verhältnis zu diesem attestiert. Lösungsvorschläge sehen die Autoren zum einen im interkulturellen Audience Development (Mandel) und zum anderen in – ähnlich zu den im Kinder- und Jugendtheater praktizierten – experimentelleren Formen der Vermittlung (Wartemann, Werner). Um das Publikum von der Legitimation von Theater zu überzeugen, betont Armin Klein die Notwendigkeit der qualitativen Entwicklung des Theaters [End Page 91] und meint damit vor allem postdramatische Formen.

Das letzte Kapitel zum Thema „Strukturen planen" fokussiert das Verhältnis von freiem Theater und Stadttheater. Dieses sei von Ambiguität geprägt (Fülle), da es sich um zwei getrennte Systeme handelt, die jedoch immer wieder durch Geldmittel, Publikum und Akteure interagieren. „Unfreiwillige Gemeinsamkeiten" (S. 15) fallen auch Jens Roselt auf. Diese beziehen sich auf den finanziellen Rahmen der öffentlichen Förderung, auf die ästhetischen Formen und die Inhalte.

Alexander Pinto verortet künstlerische Innovation bei gleichzeitig ökonomisch effizienter Produktionsweise vor allem im Bereich des freien Theaters, weist jedoch auf den Aspekt der sozialen Ungleichheit dieser strukturellen Attraktivität freier Gruppen und Theaterschaffenden hin. Die Autoren beobachten eine große Vielfalt der Arbeits- und Produktionsweisen und eine damit einhergehende Uneinheitlichkeit des freien Theaters (Matzke) bei einem gleichzeitig durch die Theaterschaffenden selbst kritisch...

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