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Reviewed by:
  • Karl Kraus und sein Verhältnis zum (Ost-)Judentum by Günter Schütt
  • Martin Hainz
Günter Schütt, Karl Kraus und sein Verhältnis zum (Ost-)Judentum. Wien: Mandelbaum Verlag, 2017. 340 S.

Wie Karl Kraus' Verhältnis zum Judentum sei, wurde schon mehrfach diskutiert—nun nimmt sich mit Fokus auf das Ostjudentum Günter Schüttdes Themas an. Dabei ist gleich vorweg anzumerken, und das tut Schüttauch, dass der Begriffselbst problematisch ist, sehr schnellflossen in der Geschichte höchst ungute Ressentiments und Wertungen in ihn ein, der zudem mit der nicht recht begründbaren Hypothese, das Judentum sei östlich (wovon?) anders, als es westlich (wovon?) sei, operiert.

Bekannt ist, dass Kraus Konvertit ist, bildungsbürgerlich sich assimilierte, gegen "die Verderbtheit 'jüdelnder' oder 'mauschelnder' Sprache jüdischer Journalisten" (10) Vorbehalte äußerte. Das ist nachweisbar, bis hin zu seinen Polemiken gegen Heine, die sich wie antisemitische Ausfälle jedenfalls zum [End Page 96] Teil lesen und zentral sind, wenn es um die Frage geht, ob hier in der Tat Kraus Antisemit ist, oder "subversive Strategien" (52) gerade gegen die antisemitische Propaganda in Stellung gebracht werden. Dabei müsste man wissen und zitieren, wie Kraus jenes Jüdeln und das Judentum nicht gleichsetzt. In der Fackel heißt es nämlich von einem, man zwinge ihn in der Redaktion der Neuen Freien Presse "zu jüdeln" und "beschneidet seine Artikel" (Die Fackel, Nr 341–42, 27.1.1912, 26), was zwar Stereotype des antisemitischen Diskurses gebraucht, aber eigentlich, um bestimmte Netzwerke zu bezeichnen, worin das Jüdische von Kraus zwar präsent und offenbar karikierbar erscheint, aber nicht der Grund für die von Kraus bezeichneten Missstände ist. Diese liegen in einer "Verhaberung," wie man auf Wienerisch sagen würde, also im Nepotismus und dergleichen. Das Jüdeln wird so also Ausdruck einer mangelnden Sprachkultur, die er dem Judentum nicht nachsagt, oder allenfalls ihm wie allem, was ihn in seinem Brauchtum und seiner Unaufgeklärtheit stört. Schießt dabei Kraus übers Ziel hinaus? Gewiss, ungerecht ist er doppelt gegen Freud, wenn er formuliert, dass die "Psychoanalen jüdeln" (Die Fackel, Nr 649–56,6.1924, 25), aber auch hier ist es wieder eine Stilkritik, sowieso ist es das, wenn Kraus dem passionierten Jäger Salten, der sich aber ins Wild einfühle und dieses sprechen lässt, ausrichten lässt, dass seine "Hasen jüdeln:" "Dieser Has […] redet wie ein Buch, das im Zsolnay-Verlag erscheinen wird." (Die Fackel, Nr 820–26, 10.1929, 46) Das geht gegen ein empathisches Hasentum, das durch die Sprache denunziert wird, als menschlich, aber dann unmenschlich menschlich, nicht universell, wie es Menschsein wäre—und das Lokalkolorit unterstreicht dies, wobei Kraus freilich blind für den Kontext ist, worin der diese Witze macht, und dann auch dafür, was kommen könnte und dann kam.

Es ist ein wenig erstaunlich, dass auf derlei Bezeichnendes Schüttlange nicht und nie hinreichend materialreich eingeht und stattdessen Studien von Beginn an zitiert, die zum Teil auf jene Probleme drängen, die es da gibt bzw. gäbe, die sich aber bei Schüttnicht erhellen. Stattdessen wird die "Journaille" sehr umfänglich beschrieben, gegen die es gehe, ohne jedoch das zu sagen, was man sich erwarten darf; generell liebt der Verfasser Umwege, aber manchmal sind es solche, die zudem nicht ans Ziel führen, und zwar auch nur irgendeines. Auf den prekären Essay Heine und die Folgen wartet man jedenfalls über 50 Seiten lang, obwohl er ein offensichtes Epizentrum ist. Und eigentlich beantwortet der Verfasser die Frage dann nicht, sondern folgt Adornos Urteil bis zu Celans "adorno-kritische(r)" (56) Reaktion und deren Spiegel in der japanischen Germanistik. [End Page 97]

Vieles bleibt dafür nur angedacht, etwa, ob Kraus' Wendung gegen die jüdische Publizistik vielleicht eine gegen jene, die allein "ebenbürtig" (49) war, sein mochte. Auch ist gerade das strikt Nicht-Lokale womöglich dem Jüdischen verbunden, die Bemühungen um eine Heimat in einer Sprache, die gegen Ressentiments des Orts so etwas wie ein universelles Recht stelle—und wo Judentum Wien meinte, oder Berlin, oder sonst einen Ort, und da war es wie dieser angreifbar...

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