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Reviewed by:
  • Schopenhauer und Goethe: Biographische und philosophische Perspektiven eds. by Daniel Schubbe und Søren R. Fauth
  • Iris Hennigfeld
Daniel Schubbe und Søren R. Fauth, eds. Schopenhauer und Goethe: Biographische und philosophische Perspektiven. Hamburg: Meiner, 2016. 488 pp.

Als ein "Gegengewicht im Zeitgeist" bezeichnete der junge Arthur Schopenhauer Goethes Rolle in einem Zeitalter, das auf der anderen Seite maßgeblich durch die Philosophie Immanuel Kants geprägt war. Goethe gehörte auch zu den wenigen Gesprächspartnern Schopenhauers, der sich lebenslang "schrecklich einsam gefühlt" habe. Zwischen November 1813 und Mai 1814 kam es zu persönlichen Begegnungen, wohl auch gemeinsamen Farbexperimenten, zwischen dem um 39 Jahre älteren Goethe und dem 25-jährigen Philosophen, der [End Page 313] kurz zuvor in Jena mit einer Arbeit Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813) zum Doktor der Philosophie avanciert war.

Goethe erhoffte sich, seinen Gesprächspartner für seine Theorie der Farben (1810) zu gewinnen und die Zustimmung zu erhalten, welche sein Zeitalter ihm bisher versagt hatte. Schopenhauer hingegen wollte keineswegs die Adeptenrolle übernehmen, sondern trug seine differierenden Ansichten Goethe gegenüber selbstbewusst vor. Resultat dieser Unterhaltungen bildete Schopenhauers Schrift Über das Sehn und die Farben (1816), in der er seine eigene Theorie der Farben präsentierte, die in wesentlichen Punkten—wie der Herstellung des Weißen und der Entstehung des Violetten—von Goethes Farbenlehre abwich.

Für Schopenhauer war Goethes Theorie der Farben eine "systematische Darstellung der Tatsachen," ermangelte jedoch einer "Theorie" im eigentlichen Sinne. Sein Ziel war daher kein Geringeres, als Goethes Forschungen zur Optik theoretisch zu fundieren und damit in den Rang echter Wissenschaftlichkeit zu erheben—ein Anliegen, das Goethes eigenem Projekt diametral entgegen stehen musste. Die Entzweiung in philosophischen und wissenschaftlichen Fragen war unausweichlich, wenn auch Goethe aus der Distanz späterer Jahre eine konziliante Haltung Schopenhauer gegenüber bewahrte und Schopenhauer auf der anderen Seite seine Bewunderung dem großen Vorbild gegenüber nie aufgab.

Der Einfluss Goethes auf Schopenhauers Philosophie wurde bislang in der Schopenhauer-Forschung wenig berücksichtigt. Ein von Daniel Schubbe und Søren R. Fauth herausgegebener Sammelband, der auf eine Tagung im Goethe-Nationalmuseum in Weimar (September 2014) zurückgeht, möchte dieses Forschungsdesiderat erfüllen. Insgesamt sechzehn Beiträge widmen sich dem Thema "Goethe und Schopenhauer" aus literatur- und sprachwissenschaftlicher sowie philosophischer Perspektive.

Die Artikel sind in sechs Themengruppen unterteilt: 1. Biographische und kulturhistorische Aspekte; 2. Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie; 3. Naturphilosophische und evolutionstheoretische Fragen; 4. Ästhetik, Dichtung und Musik; 5. Farbenlehre sowie 6. Ethik und Moral. Die Aufsätze haben das gemeinsame Ziel, so Daniel Schubbe in seiner Einleitung, "nicht nur tatsächliche, sondern auch verpasste Gespräche" (22) zwischen beiden Denkern aufzuzeigen. Auf ein solches "verpasstes Gespräch" deutet auch Schubbes These, dass im Lichte von Goethes Morphologie Schopenhauers Philosophie nicht als eine willensmetaphysische Erweiterung von Kants Transzendentalphilosophie erscheine, sondern "als eine Morphologie verschiedener Erkenntnisformen und Mensch-Welt-Beziehungen" (21).

Den Auftakt des ersten Themenschwerpunktes macht Robert Zimmer, der die Beziehung zwischen Goethe und Schopenhauer entlang der persönlichen Begegnungen, wissenschaftlichen Gespräche und der zunehmenden Entzweiung bis hin zu Schopenhauers Engagement 1837 für das Goethe-Denkmal in Frankfurt nachzeichnet. Zimmer macht deutlich, wie Schopenhauers Vorhaben, den Denker und Naturforscher Goethe einer "philosophischen Grundreinigung" (41) zu unterziehen, schließlich dazu führen musste, dass Goethe in dem jungen Philosophen einen "Gegner" (51) sah. Thomas Regehly verfolgt "Wechsellektüren" (59) beider Denker u. a. am Beispiel von Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) und Goethes im selben Jahr erschienenen West-östlichen Divan. Das Fazit von Regehly ist ernüchternd: Goethe hat Schopenhauers opus magnum—über wenige, mehr oder weniger zufällig aufgeschlagene Seiten hinaus—nicht gelesen; der Philosoph hat den Dichter Goethe zwar zur [End Page 314] Veranschaulichung eigener philosophischer Gedankengänge zitiert, den Denker Goethe—wie er sich auch in seiner Dichtung offenbart—hingegen nicht erkannt. Das Missverständnis könnte also größer nicht sein. Rolf Selbmann verfolgt diese Spur weiter und präsentiert am Beispiel der Farbenlehre und der Denkschrift Schopenhauers zur Errichtung des Goethe-Denkmals "schräge," d.h. zugleich (selbst-)missverstehende und projizierende "Blicke" (98) Schopenhauers auf Goethe, in denen nicht das große Vorbild, sondern...

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