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  • Identitäten—Imaginationen—Erzählungen: Literaturraum Südtirol seit 1965 by Barbara Siller
  • Maria-Regina Kecht
Barbara Siller, Identitäten—Imaginationen—Erzählungen: Literaturraum Südtirol seit 1965. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft—Germanistische Reihe 82. Innsbruck: Innsbruck UP, 2015. 268 S.

Wenige GermanistInnen haben sich je mit der Literatur aus Südtirol beschäftigt, selbst wenn sie die Gebirgsgegend kennen und auch mit ihrer historischen und politischen Entwicklung vertraut sein mögen. Es lässt sich wohl leichter über Urlaubserfahrungen und Wanderabenteuer in der Bilderbuchlandschaft von Südtirol ein Gespräch führen als über die literarischen Beiträge zum mitteleuropäischen Kulturschaffen, die seit 1918 zwischen dem Vinschgau und dem Pustertal, zwischen dem Brenner und Neumarkt entstanden sind.

Daher ist es sehr zu begrüßen, dass der Innsbrucker Universitätsverlag eine Monografie herausgebracht hat, die interessierten LeserInnen Gelegenheit bietet, sich einen Einblick in die literarische Landschaft von Südtirol zu verschaffen. Die Autorin Barbara Siller hat sich eine umfangreiche Aufgabe gestellt, indem sie eine Vielfalt von Aspekten des literarischen Geschehens seit 1965 aufzuzeigen sucht und den "Literaturraum Südtirol" in den größeren Zusammenhang von postmodernen Kultur-Strömungen einbetten will. Dabei ist besonders positiv, dass Siller deutsch-und italienischsprachige beziehungsweise zweisprachige Texte in ihren Korpus aufnimmt und damit bewusst eine ethnische Einschränkung vermeidet. Die anerkennenswerte Ambition, viel zu wenig Bekanntes durch einen Überblick (mit vielen Textanalysen) vorzustellen und dafür Interesse zu wecken, hat jedoch begrenzten Erfolg: die Darstellung leidet an Redundanz, und die Bemühung, auf viele verschiedene Werke hinzuweisen, resultiert in unvermeidlich oberflächlicher [End Page 144] Anreihung von Werkbetrachtungen. Außerdem gelingt es Siller nicht, ihr theoretisches Kapitel (2) kohärent in die anschließenden Diskussionen von Themen, Motiven, Narrationsmustern, usw. einzubinden—es entsteht der Eindruck, dass die Darlegung von philosophischen und kulturanthropologischen Begrifflichkeiten zur Frage von Identität zwar als ein wissenschaftliches Muss angesehen aber nicht als erkenntnisleitend eingesetzt wird. Auffällig ist, dass die zwei Unterkapitel (4.1.3 und 4.2.), die in ihrer Substanz bereits als separate Aufsätze publiziert wurden, wesentlich stimmiger mit theoretischem Fundament hervortreten als die anderen Präsentationen in den Kapiteln 3 und 4.

Wie man sich vorstellen kann, haben sich gerade in einem politisch umstrittenen Territorium wie Südtirol kollektive Identitäten über Jahrzehnte entlang Ethnien und Sprachen herausgebildet. Erst nach der konsequenten Durchführung des Autonomie-Statuts in den 70er Jahren—basierend auf dem Pariser Vertrag von Karl Gruber und Alcide Degasperi (1946) und viel später erfolgreich als "Paket" ausgearbeitet durch den Südtiroler Landeshauptmann Silvio Magnago—lockerten sich langsam die Fronten. Fixierte Identitätszuschreibungen im "Entweder/Oder" begannen sich erst dann allmählich aufzulösen und wurden zunehmend von fluiden Identitätskonstruktionen im "Sowohl/Als Auch" ersetzt. Dies trifft nicht nur auf die reelle Lebenssituation der Bevölkerung im Alto Adige zu, sondern auch auf die literarische Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit. Wenn das Spektrum von SchriftstellerInnen in Sillers Band beispielhaft sich von Franz Tumler (*1912) und Maria Giuliana Costa (*1920) über Gianni Bianco (*1932) und Joseph Zoderer (*1935) bis zu Helene Flöss (*1954) und Sepp Mall (*1955) und zu Selma Mahlknecht (*1979) zieht, dann lässt sich im Schreiben dieser Generationen der Wandel von Identitätsprojektionen nachvollziehen. Siller kann ihre Leserschaft davon überzeugen, dass "ein dynamisches, performatives und konstruktivistisches Identitätsverständnis zunehmend den—bis dahin gängigen—statischen, essentialistischen Identitätsbegriffin den literarischen Werken abgelöst hat" (15).

Bevor die Autorin ihr zentrales Thema präsentiert, vermittelt sie einen Abriss der Geschichte und Politik Südtirols seit 1918 und betont, dass für das Verständnis des spezifischen Diskurses um und über Südtirol—ganz im Sinne der Foucaultschen Genealogie—all das, was nicht ausgesprochen wurde/wird, wesentlich signifikanter ist als das Artikulierte. Es geht also darum, die Diskontinuitäten und Konfliktstellen im Reden über Südtirol auszumachen; [End Page 145] auf das Vergessene und Unterdrückte in den tradierten Erinnerungen einzugehen und die (historischen) Mythen, auf die so oft rekurriert wird, aufzubrechen. Die besondere Signifikanz der spezifisch ethnischen Perspektiven (von den Tirolern, den Italienern, den Ladinern) und die starke Bindung an die jeweilige Sprachgemeinschaft haben das politische, gesellschaft liche und Familienleben im Südtiroler Raum ma...

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