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  • "Für mich war Literatur alles Mögliche, auch Eskapismus"Interview mit Egon Schwarz
  • Michael Omasta and Ursula Seeber

Am 18. Oktober 2016 wurde dem Literaturwissenschaftier und Kritiker Egon Schwarz im Literaturhaus Wien die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft für Exilforschung e.V. verliehen. Michael Omasta, Filmredakteur der Wiener Stadtzeitung "Falter", und Ursula Seeber, bis 2016 Leiterin der Österreichischen Exilbibliothek, führten am 17. Oktober 2016 mit Egon Schwarz in Wien dieses Gespräch. Es sollte sein letzter Besuch in seiner Heimatstadt sein.

Dürfen wir Sie aus gegebenem Anlass fragen: Wie finden Sie das, dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommen hat?

Egon Schwarz

Ich finde das gut. Die sind findig. Der Nobelpreis hat ja immer nicht nur literarische Ziele, sondern soll den Horizont verbreitern und hat auch eine politische Dimension. Es sind nicht immer unbedingt die besten Autoren, aber ausgefallene Autoren—Gabriela Mistral ist wahrscheinlich nicht die größte Dichterin, die's jemals gegeben hat, aber: Sie ist eine Frau und sie ist Südamerikanerin. [Theodor] Mommsen hat auch den Nobelpreis bekommen. Ich weiß gar nicht, ob der so herrlich geschrieben hat, aber es muss den Leuten eingeleuchtet haben. Es gibt andere Preise, die mehr auf die literarische Qualität abzielen.

Sie waren einer der Ersten, der in Amerika österreichische Literatur unterrichtet und diese protegiert hat.

ES

Ich weiß nicht, ob ich unter den Ersten war, aber ich hab mich geärgert, dass österreichische Literatur nie als eigene behandelt wurde in den [End Page 113] Seminaren. Die Annahme war, dass es eine deutschsprachige Literatur gibt, und die Schweizer und die Österreicher gehören dazu. Man hat die Eigenart nicht wahrgenommen, die österreichische Eigenart. Natürlich wusste ich auch nicht furchtbar viel darüber, aber ich wusste, dass es nicht so war, wie's beschrieben wurde.

Sie schreiben, Sie waren vom "linguistischen Bazillus" angesteckt, ein Fan von Metaphern, Redensarten, Akzenten, und haben deshalb viel klarer erkennen können als andere, was das Österreichische in der österreichischen Literatur ist.

ES

Ich hab einen Aufsatz geschrieben mit dem vielsprechenden Titel "Was ist österreichische Literatur?" Worauf ich am Ende kam, war, dass nicht alles, was in Österreich geschrieben wird, österreichische Literatur ist. Es gibt Werke, die ununterscheidbar von in Deutschland publizierten sind, und andere, die etwas einfangen, österreichische Geschichte zum Beispiel. Natürlich gab es Leute, die von der österreichischen Literatur sprachen, aber die haben alles, von den Kreuzzügen an, als typisch österreichisch bezeichnet. Das war so eine reaktionäre Art mit der Frage umzugehen! Und dann hab ich gesagt, warum nicht, und hab angefangen. Zuerst in Harvard, dann bin ich nach St. Louis und hab das weitergemacht.

War diese Leidenschaft für Literatur etwas, das Ihnen schon in die Wiege gelegt wurde? Ist in Ihrer Familie gelesen worden?

ES

Meine Familie hat damit wenig im Sinn gehabt. Immerhin, meine Mutter war eine Leserin, aber ich glaub, sie hat vor allem Schundromane gelesen. Dass man ein Buch kauft und liest, hab ich also zuhause gelernt. Für mich war Literatur alles Mögliche, auch Eskapismus. Sie müssen sich vorstellen, ich saß plötzlich in La Paz—das ist heute noch abwegig, damals war's außerhalb der Welt. 90 Prozent der Bevölkerung waren Indianer, deren Muttersprache Quechua oder Aymara war und die Spanisch genauso lernen mussten wie wir. Außerdem trennten uns auch Kultur-Äonen von diesen Leuten, sodass wir hauptsächlich auf uns selber angewiesen waren. Das ist ein rasanter Unterschied zu jenen Emigranten, die in die USA gegangen waren, die wollten und mussten sich anpassen. Jetzt ist es ein bisschen anders, aber damals verlangte man, dass sie so sehr Amerikaner würden wie möglich. Was ja nicht leicht ist. Ich bin jetzt seit 1949 in den USA und immer noch keiner. [End Page 114] Sie sind nur dem Pass nach Amerikaner?

ES

Ich bin ein Pass-Amerikaner. Wenn ich den Mund aufmache, erkennt man mich sofort als "Zuagrasten". Und die Frage, wie mir Amerika gefällt, wird mir öfter gestellt.

Jetzt in Wahlkampfzeiten wahrscheinlich besonders oft?

ES

Jetzt, wo's mir überhaupt nicht mehr gefällt, fragen sie mich besonders.

Man darf Sie im Moment auch nicht fragen, wie Ihnen Österreich gefällt?

ES

Nein, die braune Flut...

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