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  • Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie by Wolf Biermann
  • Frederick A. Lubich
Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie. Von Wolf Biermann. Berlin: Propyläen, 2016. 543 Seiten + 61 s/w Abbildungen. €28,00 gebunden, €14,00 broschiert, €26,99 eBook.

Schon länger wartete das vereinte Deutschland auf die Lebensgeschichte des sicherlich zerrissensten Dichters, den die Deutschen je in ihrer langen Geschichte als Kulturund Barbarenland gehabt haben. Nach Goethes Dichtung und Wahrheit und Heines Deutschland ein Wintermärchen – um nur zwei der repräsentativsten autobiographischen Texte der deutschen Literaturgeschichte zu nennen, die immer wieder auch das Persönliche mit dem Politischen verbinden – waren die Erwartungen entsprechend hochgeschraubt.

Biermann fängt der autobiographischen Tradition entsprechend ganz von An-fang an, praktisch im Bauch seiner Mutter, ja er wird geradezu zu ihrem Bauchredner, wenn er in zahlreichen Einzelheiten und immer wieder in längeren direkten Reden berichtet, was seine Eltern und Verwandten damals rund um ihn herum so alles gesagt hätten. Kaum ist der Bub geboren und kann richtig reden und rennen, da prasseln und brennen auch schon die Bomben der Alliierten übers nächtliche Hamburg herein und verwandeln seine schöne hanseatische Heimatstadt in ein danteskes Inferno.

Wenige Jahre später begegnen wir dem halbwüchsigen Biermann bereits in einer Ost-Berliner Ausbildungsstätte für die Freie Deutsche Jugend in einer sehr schnell immer unfreier werdenden sogenannten Deutschen Demokratischen Republik. FDJ und DDR sind nur zwei der bekanntesten Kürzel, die bald durch viele weitere vermehrt werden, wie AWA, DFF, EMW, GI, HO, HWG, IM, IMF, KA, Koko, LPG, ND, NVA, OdF, PGH, VEB, ZK und ZOV. Manche von ihnen sind erklärt, andere nicht, alle sind Teil jener bürokratischen Verklausulierungen, die Biermann wortverspielt,,Kaderwelsch" (89) nennt. Seinen westdeutschen Zeitgenossen dürften noch einige von ihnen bekannt sein, jedoch für Brechts vielberufene,,Nachgeborene" werden sie kaum noch zu entschlüsseln sein.

Den Umschlag des Bandes ziert ein Porträt des Autors, das ihn als ergrauten Wolf zeigt, als freundlichen älteren Herrn und gutmütigen Großvater anstelle des frechen Sängers und wagemutigen Aufrührers, als der er deutsch-deutsche Geschichte gemacht hat. Dem Band sind zwei Bilderbögen mit insgesamt 61 zum Großteil markanten Fotos beigefügt, von denen einige in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands geradezu ikonische Bedeutung gewonnen haben. Drei sprechende Beispiele: [End Page 709]

  1. 1. Das über die Jahre geradezu emblematisch gewordene, den Titel des Bandes liefernde Cover der CBS-Platte Warte nicht auf bessre Zeiten, das den damals in OstDeutschland verbotenen Sänger in seiner Wohnung in der Ost-Berliner Chausseestraße zusammen mit seinen Freunden zeigt, die allerdings alle verdeckt bleiben mussten, um sie im damaligen Ost-Deutschland vor dem sofortigen Verdacht der Staatsfeindschaft zu schützen. Im Rückblick auf diese Zeit schreibt Biermann über die vielen Besuche von Freunden und Gesinnungsgefährten, die er über die Jahre in diesem Zimmer empfangen hatte:,,Meine Wohnung kam mir vor wie die Wartehalle für die Weltrevolution zwischen den Welten." (237) Dass so vieles in Ostberlin,,umme Ecke" ist, unterstreicht das vertraute Ambiente, in dem er wohnt und in dem er sich zuhause fühlt – aller staatlichen Überwachung mehr oder weniger zum Trotz.

  2. 2. Der Stasi-Schnappschuss durch das Guckloch einer Einkaufstasche, der Wolf Biermann mit einer jungen Nina Hagen zeigt, der Tochter seiner damaligen Geliebten Eva-Maria Hagen. Wenige Jahre später sollte die junge Sängerin als melodramatische Königin des deutschen Punk weltweit Furore machen und Wolf Biermanns internationalen Ruhm als rebellischer Liedermacher beträchtlich überflügeln. Darüber hinaus veranschaulicht und versinnbildlicht dieser Schnappschuss einen bürokratischen Kontrollapparat, der glaubte, auch noch aus dem stummen Lichtbild von einem alltäglichen Stadtbummel weitere sachdienstliche Hinweise ziehen zu können.

  3. 3. Schließlich die Aufnahme von der langen stummen Umarmung Wolf Biermanns und Heiner Müllers auf der Frankfurter Buchmesse aus dem Jahr 1992. Es ist die öffentliche Begegnung und insgeheime Versöhnung von zwei bedeutenden Autoren und prominenten Helden der ehemaligen DDR-Intelligenz, von denen sich der eine, nämlich Müller, letztlich als peinlicher Feigling erwies, als er dem Druck von Stasi-Agenten schließlich nachgab und seine ursprüngliche Unterschrift unter die Petition gegen...

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