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  • Persona(e) of Interest:Die vielen Gesichter der Catharina Cibbini-Koželuch
  • Michaela Krucsay

Die Rezeption ausgerechnet der Biografie einer Musikerin des 19. Jahrhunderts in den Fokus eines wissenschaftlichen Aufsatzes zu rücken, von der heute – selbst in fachlich einschlägigen Kreisen – kaum mehr als der Name bekannt ist, birgt eine Reihe bereits vielfach diskutierter, nichtsdestotrotz bedeutender Implikationen in sich. Diese überschneiden sich ihrerseits mit zahlreichen Fragestellungen, die nicht nur für die Musikwissenschaft, sondern für die Kulturwissenschaften insgesamt seit einiger Zeit virulent erscheinen: Darunter besonders zentral die Frage nach einer zeitgemäßen Musikhistoriografie und -biografik einerseits und die damit eng verknüpfte Auseinandersetzung mit den Wirkungsweisen des kulturellen Gedächtnisses andererseits.1 Erstere bildet das Zentrum einer aktuellen Debatte der historischen und soziologischen Wissenschaften, in deren Kern die Erkenntnis steht, dass weder biografische Forschung im Archiv noch die Biografieforschung als eigener Wissenschaftszweig unabhängig von einem veränderlichen Netzwerk sowohl philosophischer als auch sozial alltäglicher Diskurse ist.2 Auch die gerade während des 19. Jahrhunderts sehr populäre Überlieferungsform der Anekdotik hat seit einigen Jahrzehnten (wieder) an wissenschaftlicher Bedeutung gewonnen, wobei deren kritische Dekonstruktion bzw. Kontextualisierung einen wesentlichen Einblick in herrschende Diskurse um den sozialen Status des Musikers und die Mystifizierung des „Genialen" zu bieten versprechen.3 [End Page 66]

Dass der von biografischer Tradierung (und Tradition) seinerseits nicht unabhängige Prozess der Kanonisierung letztlich nichts anderes als Arbeit am kulturellen Gedächtnis sein kann, das in Gestalt nicht nur einer, sondern mehrerer, sich teilweise überlappender Erinnerungskulturen seinen Ausdruck findet, ist dank der grundlegenden Forschung Jan und Aleida Assmanns gleichsam zu einem wissenschaftlichen Gemeinplatz geworden, an dem auch musikwissenschaftliche Teildisziplinen aufeinandertreffen.4 Auch die einschlägige Frauen- und Genderforschung blieb davon naturgemäß nicht unberührt.5 Auf das Wesentliche heruntergebrochen lässt sich hiervon vereinfachend ableiten: Wer „überlieferungswürdig" ist, der ist gleichermaßen „biografiewürdig" – obwohl man hier Gefahr läuft, einem Zirkelschluss zu unterliegen, da man, wie Nina Noeske argumentiert, unter bestimmten Voraussetzungen Biografie und Biografieschreibung auch bereits als impliziten ästhetischen Wertmaßstab betrachten muss. Noeske folgert, dass sich die Kulturund Geisteswissenschaft nicht ausschließlich mit solchen Themen und Aspekten beschäftigen darf, die sie für „wertvoll" hält, so verführerisch dies auch zur Aufwertung des eigenen Faches erscheinen mag. Würde man die Forschung tatsächlich auf diese Art reduzieren, dann würde nicht nur jede Beschäftigung mit den sogenannten „Kleinmeisterinnen" und „Kleinmeistern" wegfallen, sondern man dürfte sich auch nicht mit Musik in Diktaturen wie dem NS-Staat wissenschaftlich auseinandersetzen – ein Ansatz, der dem nicht zuletzt durch postmoderne Theorien offeneren Geist der heutigen Musikwissenschaft keinesfalls gerecht würde, nach dem sich das musikwissenschaftliche Interesse längst nicht mehr wie früher fast ausschließlich auf die fest im Kanon verankerten Werke der sogenannten „großen Komponisten" beschränkt.6 Doch worin liegt das spezifische Interesse an Catharina Cibbini-Koželuch,7 die der langen Reihe all jener angehört, die keineswegs in den allgemeinen Kanon großer Musikerinnen und Musiker (geschweige denn Komponistinnen [End Page 67] und Komponisten) aufgenommen wurden? Es mag sich erweisen, dass die Beschäftigung mit ihr auch über das vergleichsweise eng umrissene Fach der musikwissenschaftlichen Frauenforschung hinaus für das hypersensitive Nervengeflecht von Identität, deren Konstruktion und Rekonstruktion sowie von Biografieforschung und (Nicht-)Kanonisierung einige Einsichten verspricht. Gerade, dass die im Ranke'schen Sinn8 „historische Persönlichkeit" Catharina Cibbini heute nahezu vergessen ist, lässt ihren „Fall" zu einem Lehrstück über historisch-soziologische Prozesse zwischen Identitätskonstruktion und Mythenbildung aufgrund endogener wie exogener Faktoren werden.

Einige der für das Thema konstitutiven Narrative werden bereits anhand eines einzelnen Satzfragments aus einer der zahlreichen Flugschriften des Revolutionsjahres 1848 deutlich: „Schade, daß die Cibbini ein Weib ist", polemisierte Joseph Schulz in seinem Wegweiser durch das Constitutionelle Leben.9 Dieser einzelne Satz ist Teil einer scharfen Kritik an den oberflächlichen Zugeständnissen des Hofes im Kontext mit dem Reichstag in Wien. Verborgen in dieser schlichten Fußnote liegt bereits die Disposition des von einschlägigen Genderdiskursen nicht unberührten Themas, dem die folgenden Seiten gewidmet sind: Der obskure, rezeptionsgeschichtliche Wandel der Wahrnehmung der Person Catharina Cibbinis, deren allgemeine Bekanntheit bei seiner Leserschaft Schulz offenbar...

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