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  • Vom Gottesgericht zur verhängnisvollen Natur. Darstellung und Bewältigung von Naturkatastrophen im 18. Jahrhundert von Christoph Weber
  • Thorsten Unger
Vom Gottesgericht zur verhängnisvollen Natur. Darstellung und Bewältigung von Naturkatastrophen im 18. Jahrhundert.
Von Christoph Weber. Hamburg: Meiner, 2015. 414Seiten + 19 s/w Abbildungen. €78,00.

Der Umgang mit Naturkatastrophen im Zeitalter der Aufklärung hatte die Forschung des 20. Jahrhunderts bereits mit geistesgeschichtlichem Erkenntnisinteresse beschäftigt; in den letzten zwei Jahrzehnten aber rückte er auch im Zuge neuerer Ansätze einer weit gefassten Kulturwissenschaft wie der Gedächtnisforschung, der Umweltgeschichte und des Eco-Criticism stärker ins Blickfeld. Als Schlüsselereignis im Zentrum der Debatte steht dabei das Erdbeben von Lissabon vom Allerheiligentag des Jahres 1755. Neben den Reaktionen so prominenter Zeitgenossen wie Voltaire, Rousseau, Kant und Goethe liegt hierzu eine Fülle von Materialien aus der zeitgenössischen Literatur und Publizistik, aber auch aus der bildenden Kunst vor, wovon vieles – auch befruchtet durch den 250. Jahrestag des Ereignisses im Jahr 2005 – nach und nach vorgestellt und inzwischen in recht differenzierter Weise auf den Gesamtdiskurs über Naturkatastrophen im 18. Jahrhundert bezogen worden ist.

Christoph Weber unternimmt es verdienstvollerweise nun im Rahmen einer Monographie, einen Teil dieser Materialien noch einmal systematisch zu analysieren und auf die jeweilige Kombination der im 18. Jahrhundert virulenten Deutungsstränge für Naturkatastrophen zu befragen. Er untersucht, inwieweit in zeitgenössischen Texten etwa naturwissenschaftliche oder (straf-)theologische Erklärungsmuster in Anschlag gebracht und ob aus dem Ereignis tatsächlich Folgerungen für die optimistische Weltsicht der Frühaufklärung gezogen werden, wie es frühe Texte Voltaires (Poème sur le désastre de Lisbonne, Candide) und der späte Rückblick Goethes in Dichtung und Wahrheit nahelegen. ,,Den in der Forschungsliteratur hartnäckig vertretenen Standpunkt, Lissabons Untergang habe das Ende des philosophischen Optimismus bewirkt, unterziehe ich einer kritischen Reevaluierung“ (19), kündigt der Verfasser an und gibt dieser Fragestellung damit besonderes Gewicht.

Im Resümee bringt er dann neben anderen wichtigen Befunden als Untersuchungsergebnis auf den Punkt, dass die Analyse der ,,deutschsprachigen Reaktionen auf das Erdbeben von Lissabon 1755“ wohl eine ,,Verschränkung der Naturwissenschaften und des populärphilosophischen Optimismus mit der Religion“ erkennen [End Page 472] lassen, dass damit aber ,,keine Krise des leibnizschen Optimismusgedanken[s] eingetreten“ sei (360): ,,Das metaphysische Leitprinzip eines zweckmäßigen Naturganzen hat sich bewährt. Für die aufgeschreckten Zeitzeugen von Lissabons Untergang fungierte dieses als ein sinnstiftender Orientierungspunkt.“ (360) Dieses Ergebnis scheint nach den im Band vorgelegten Analysen plausibel, und es ist hilfreich, dass der Verfasser mit den zitierten Sätzen seine These noch einmal klar herausstellt.

Nicht ganz folgen kann der Rezensent indessen der forschungsgeschichtlichen Einbettung dieser These. Denn dass das Erdbeben von Lissabon noch ,,in der gegenwärtigen Forschungsliteratur als bewusstseinsgeschichtliche Zäsur des 18. Jahrhunderts stilisiert“ würde (360) und sich die These von der Beendung des philosophischen Optimismus durch dieses Erdbeben ,,in der Forschungsliteratur hartnäckig“ hielte (19), stimmt so nicht. Auch Weber bleibt an den zitierten Stellen Nachweise schuldig. In einem Abschnitt zur modernen Rezeption des Erdbebens von Lissabon fungiert als ,,typisches Exempel“ (112) einer solchen Position ein Aufsatz von Hartmut Böhme (,,Das Steinerne“), der aus dem Jahr 1989 stammt. Außerdem führt Weber Susan Neimans Buch Evil in Modern Thought (Princeton 2002) als Beleg für die Hartnä-ckigkeit der Zäsur-These ins Feld, als dessen Erscheinungsjahr er im Haupttext fälschlich 2004 angibt (114). Andere von Weber besprochene Beispiele lassen sich eindeutig nicht mehr für den gegenwärtigen Forschungsstand in Anspruch nehmen: Wilhelm Lütgers Aufsatz ,,Die Erschütterung des Optimismus durch das Erdbeben von Lissabon 1755“ stammt aus dem Jahr 1901 (112), Harald Weinrichs Beitrag ,,Literaturgeschichte eines Weltereignisses“ (Weber im Haupttext fälschlich: ,,Literaturgeschichte eines Ereignisses“ [113]) erschien zuerst 1964. Weinrich kommt indes das Verdienst zu, durch den von Weber hier auch erwähnten (113f.) Hinweis auf die Preisfrage der Berliner Akademie über Popes Formulierung ,,Whatever is, is right“ daran erinnert zu haben, dass die Debatte über den Aufklärungsoptimismus bereits vor dem Erdbeben lief; damit aber hat Weinrich nicht wenig zur Differenzierung der Diskussion über die Zäsur-These beigetragen. Sodann weist Weber auf die in der Tat ,,wegweisende...

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