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  • Zivilgesellschaft im Widerstreit. Konkurrenz zwischen Staat, Ökonomie und Zivilgesellschaft in der Realisierung des gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohls by Reinhard Hildebrandt
  • Christine Schoenmakers
Zivilgesellschaft im Widerstreit. Konkurrenz zwischen Staat, Ökonomie und Zivilgesellschaft in der Realisierung des gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohls. By Reinhard Hildebrandt. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2015.. Pp. 211. Cloth €44.95. ISBN 978-3631658765.

Angesichts knapper öffentlicher Kassen und der steigenden sozialen Ungerechtigkeit in den Industrienationen haben alternative Gesellschaftsentwürfe derzeit Hochkonjunktur. In Zeiten, in denen der Staat immer weniger elementare Aufgaben für das Gemeinwesen übernimmt, in denen ökonomische Interessen zunehmend politische Entscheidungen beeinflussen, gewinnt die "Zivilgesellschaft" (wieder) an Bedeutung. Die Zunahme an Bürgerprotesten gegen Großprojekte und Privatisierungsvorhaben macht dies deutlich.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (https://www.bmz.de/de/service/glossar/Z/zivilgesellschaft.html,2010–2016) definiert Zivilgesellschaft als "einen Bereich innerhalb der Gesellschaft, der zwischen dem staatlichen, dem wirtschaftlichen und dem privaten Sektor angesiedelt ist." Zivilgesellschaft umfasse dabei die Gesamtheit des Engagements der Bürger eines Landes, welches sich nicht an Profiten oder parteipolitischen Interessen orientiere. Allein in Deutschland engagiert sich jeder Dritte ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden, Initiativen oder sozialen Bewegungen. Politikwissenschaftler halten Zivilgesellschaft für notwendig, um eine pluralistische Gesellschaft von engagierten Bürgern zu schaffen. Allerdings führt eine Vielfalt zivilgesellschaftlicher Organisationen, wie Annette Zimmer ("Die aktuellen Probleme der Zivilgesellschaft," 2012) betont, allein noch nicht zu einer starken Demokratie. Erst indem sie ideologische, normative, [End Page 475] ethnische oder religiöse Positionen zugunsten eines gemeinsamen Kompromisses zurückstellen, können sie "zivil," das heißt auf das Wohl aller hin orientiert handeln. Doch gerade der Begriff des "Gemeinwohls" ist umstritten und kann, je nachdem welche Interessengruppe über ihn die Deutungshoheit erlangt, auch zur Exklusion von gesellschaftlichen Akteuren aus der Solidargemeinschaft führen—das ist in der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt worden. Wie das Spannungsverhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft austariert und ein Maximum an "Wohl" für alle erreicht werden kann, das untersucht Reinhard Hildebrandt in seiner Analyse Zivilgesellschaft im Widerstreit.

In acht Kapiteln baut Hildebrandt seine Argumentation auf. Zunächst geht es ihm um die Klärung wichtiger Begriffe wie ehrenamtliches Engagement, dessen Definition der Autor dem Freiwilligensurvey 2009 des Bundesfamilienministeriums entnimmt, und Zivilgesellschaft—hier setzt sich Hildebrandt mit insgesamt zwölf Definitionsversuchen auseinander, leider ohne eine eigene Begriffsbestimmung zu finden. In Bezug auf das Ehrenamt stellt Hildebrandt fest, dass sich dieses mittlerweile zu einem unverzichtbaren Faktor entwickelt und—auf Kosten der politischen Parteien—deutlich hin zu sozialen Organisationen verschoben habe. Problematisch dabei sei, dass Zivilgesellschaft nicht automatisch mit Gemeinwohl gleichgesetzt werden könne, denn auch zivilgesellschaftliche Projekte seien von Geldgebern aus Staat und Wirtschaft abhängig. Das Konzept der Zivilgesellschaft, so konstatiert der Autor, sei zudem in hohem Maße unscharf, mit unrealistischen Erwartungen überfrachtet und reflektiere eine große Zahl an Ideen und Werten, die zueinander in Konflikt stünden und ausbalanciert werden müssten.

Gerade, was die Bestimmung des Gemeinwohls betrifft, kritisiert Hildebrandt eine, nicht nur in Deutschland spürbare Schieflage zugunsten von Staat und Wirtschaft. Die Folge sei eine einseitige Bedienung von Partikularinteressen, die der Autor an den folgenden "kritikwürdigen Zuständen" festmacht: die zunehmende Nähe zwischen Politik und Wirtschaft durch Lobbyverbände; die Privatisierung von Aufgaben staatlicher Daseinsvorsorge; eine soziale Ungleichheit begünstigende Steuergesetzgebung; die Macht von Konzernen und Finanzmärkten, die nationales Recht aushebelten oder die Risiken von Transaktionsgeschäften dem Steuerzahler aufbürdeten. Daraus ergebe sich wachsender sozialer Unfrieden, dessen Umrisse sich in ungleich verteiltem Vermögen, steigender Armut von Kindern und älteren Menschen sowie in der Beschneidung von Bürgerrechten zeigten.

Um weitere negative Auswüchse zu vermeiden, bedürfe es zivilgesellschaftlichen Engagements. Dessen Infrastruktur hänge jedoch von bestimmten Faktoren ab: Bürgerbeteiligung sowie Transparenz von politischen Entscheidungen und Gesetzgebungsinitiativen; weitgehende Entscheidungsfreiheit der politischen Repräsentanten gegenüber außerparlamentarischen Gruppen; zivilgesellschaftliches Engagement ermöglichende Arbeitszeiten, Löhne, Gehälter und Renten; Restrukturierung der [End Page 476] Daseinsvorsorge; eine als gerecht empfundene Einkommens- und Vermögensverteilung sowie eine ungleiche Lebensverhältnisse ausgleichende Steuerpolitik; Bewahrung von Medienvielfalt zur Artikulation von und Kritik an gesellschaftlichen Missständen; austariertes Verhältnis zwischen Exekutive, Legislative und Judikative, insbesondere in der Grundfrage Freiheit versus Sicherheit. Damit zivilgesellschaftliche Gemeinwohlbelange...

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