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Reviewed by:
  • Benjamin's Passages: Dreaming, Awakening by Alexander Gelley
  • Ferdinand Bubacz
Benjamin's Passages: Dreaming, Awakening. By Alexander Gelley. Oxford: Oxford University Press, 2014. Pp. xiii + 210. Paper $35.00. ISBN 978-0823262571.

Alexander Gelley hat sich in seiner Untersuchung Passages: Dreaming, Awakening die ambitionierte Aufgabe gestellt, eine begrenzte Auswahl geschichtsphilosophischer Denkfiguren aus Walter Benjamins letzter Schaffensphase vor dem Hintergrund des unvollendeten Passagen-Werks neu zu arrangieren. Die Aufmerksamkeit seiner stringenten Studie richtet sich dementsprechend auf eine sorgsame Relektüre von Benjamins Schriften aus den 1930er-Jahren, die er zu einer Motivgeschichte des Passagen-Werks verknüpft. Die Passagenarbeit bildet somit nicht den zentralen Gegenstand der Arbeit, sondern steckt den Rahmen ab, in dem Gelley in sieben Kapiteln wegweisende Problemstellungen des Spätwerks zurückverfolgt: Ein einleitendes Kapitel gibt die Perspektive vor, in dem Gelley ein "physiognomisches Bild" Benjamins durch seine schwierigen Freundschaftsverhältnisse insbesondere zu Gershom Scholem und Theodor W. Adorno konturiert. Indem er Benjamin als einen Spätgeborenen darstellt, der zwischen zwei Generationen steht, unterstreicht Gelley Benjamins kontinuierliche Weigerung ein eindeutiges religiöses und politisches Bekenntnis abzugeben. Diese entschiedene Nichtentscheidung, von der seine isolierte Haltung gegenüber seinen Freunden zeugt, überträgt Gelley auch auf die Unvereinbarkeit von Benjamins widersprüchlichen Begriffen, die ebenso Widerstand gegen jede eindeutige Positionierung leisten. Der Titel Passages gibt somit nicht nur den Fluchtpunkt von Gelleys Studie vor, sondern spielt auch auf diese sowohl biografische als auch begriffliche Schwellenposition Benjamins an. [End Page 437]

Das einleitend entworfene Bild, das gerade in den widerstrebenden Tendenzen die Kohärenz von Benjamins Denken erkennt, beschreibt zugleich Gelleys prinzipielle Herangehensweise an die Texte: Über eine souveräne textnahe Analyse u.a. der Wechselwirkung von Ästhetik und Politik, der sprachphilosophischen Schriften und dem Status des Messianismus rekonstruiert Gelley in den folgenden sieben Kapiteln präzise und prägnant die verschiedenen Dimensionen von Benjamins vielschichtigem Begriff der Geschichte. Indem Gelley die geschichtsphilosophischen Motivwandlungen mit den Materialen des Passagen-Werks verknüpft, zeichnet er nach, wie Benjamins Geschichtsbegriff durch ein Leitprinzip gelenkt wird, das er als "retrograde temporality" bezeichnet. Die posthume Publikation und die späte Rezeption von Benjamins Texten sei ein Beispiel für Benjamins retrograden Begriff der Geschichte sowie für das transformative Potential, das den vergessenen oder ausgestoßenen Bruchstücken einer unterdrückten Vergangenheit in ihrem "Nachleben" zukommen kann.

Als Leitmotive dienen Gelley die komplementären Figuren Traum und Erwachen, die bereits seit geraumer Zeit als eine zentrale Klammer von Benjamins späten Schriften entdeckt wurden. Erwachen, so argumentiert Gelley, versteht Benjamin nicht in erster Linie im marxistischen Sinne "as a harbinger of revolution but rather as the projection of a new sensibility (Wahrnehmung) on the part of the social collective" (64). Zwar bezeichnet Erwachen auch die Entzauberung von der Phantasmagorie der Warenwelt, aber Stichwortgeber ist hier insbesondere Marcel Prousts Schlüsselwerk der Moderne Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (1908–1922), an dessen Übersetzung Benjamin zusammen mit Franz Hessel seit den späten 1920er-Jahren arbeitete: Parallel zu Prousts nahezu phänomenologischer Beschreibung der allmählichen Vergegenwärtigung des individuellen Bewusstseins beim morgendlichen Erwachen, versucht Benjamin mit dem Passagenwerk das Verfahren des Eingedenkens als eine Technik des historischen Erwachens zu entwickeln, in der die Vergangenheit nicht als leere, lineare Zeit wie im Historismus erscheint, sondern das Gewesene sich allein im Bezug zur Gegenwart kristallisiere: Um diese ungerichtete Konzeption der Zeitlichkeit herum ist Benjamins Begriff der Geschichte sowie die Figur der Erinnerung als Eingedenken organisiert.

Ausgehend von Benjamins eigener Charakterisierung des Passagenwerks als einem "Versuch zur Technik des Erwachens," vertritt Gelley die These, dass das Passagenwerk kein konstituierendes Leitthema hat, sondern primär eine Art der Darstellung verfolge, die von einer performativen Absicht getrieben werde und auf ihre eigene Realisierung ziele.

Gelley begründet Benjamins Geschichtsbegriffs auch durch die Ableitung aus Benjamins früheren sprachphilosophischen und ästhetischen Schriften und nähert sich darüber den Texten aus dem Umkreis der Passagen. Nach dem Eintritt in die Welt der Passagen widmet sich Gelley im fünften Kapitel "Citation as Incitation" einem zentralen Anliegen seiner Studie: der Darstellung und dem performativen [End Page 438] Anliegen des Passagenwerks. Das Verfahren des Zitats, das als strukturelles Leitprinzips dem Projekt zugrunde liegt, sei die Praxis, die das Vergangene in...

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