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  • Geistiger Handelsverkehr: Streifzüge im Zeitalter der Weltliteratur. Mit Erinnerungen von Karl S. Guthke an die „Goldenen Jahre“ der akademischen Migration by Karl S. Guthke
  • Paul Michael Lützeler
Karl S. Guthke. Geistiger Handelsverkehr: Streifzüge im Zeitalter der Weltliteratur. Mit Erinnerungen von Karl S. Guthke an die „Goldenen Jahre“ der akademischen Migration. Tübingen: Francke Verlag, 2015. 292 pp. €39 (Broschiert). ISBN 978-3-7720-8572-7.

Vom „geistigen Handelsverkehr“ sprach Goethe 1830 in seiner Einleitung zu Carlyles Leben Schillers. Damals favorisierte der Weimarer den Begriff der „Weltliteratur“, der für den Austausch dichterischer Werke über die Grenzen von Nationen und Erdteilen hinweg stand. Karl S. Guthke hat sich ein Leben lang als kosmopolitischer Germanist und Komparatist mit den dialogischen Beziehungen der deutschsprachigen Literatur zu Dichtungen anderer Länder und mit den Wirkungen fremder Kulturen auf Deutschland beschäftigt. So auch in dieser Sammlung von Studien aus den letzten fünf Jahren.

Da geht es zunächst um das Deutschstudium in England, das sich als akademisches Fach allmählich in den 1820er Jahren zu etablieren begann, wobei als Pionier George Crabb mit seiner Kombination von Grammatik und Literatur-Lesebuch gilt, gefolgt von William Taylor. Nach Crabb, der in der Literatur das „gepflegte Mittelmaß“ bevorzugte, traute Taylor den englischen Studenten die Auseinandersetzung mit den deutschen Klassikern von Klopstock über Lessing und Herder bis Wieland, Goethe und Schiller zu. [End Page 87]

Afrika in Weimar? Guthke geht der Frage nach, was und wie viel Goethe von Afrika wusste. Der Dichter, dem Anschauung über alles ging, bewunderte Alexander von Humboldt wegen seiner Forschungsreisen in verschiedene Erdteile. Zu Abstechern nach Afrika – oder überhaupt ins nicht-europäische Ausland – hat Goethe sich nicht aufraffen können. Guthke weist aber nach, wie sehr Goethe Informationen über den Kontinent jenseits des Mittelmeers interessierten. So bestellte und las der Weimarer Dichter wichtige, neue Literatur über Afrika. Bei der Beschaffung entsprechender Titel für die Herzogliche Bibliothek war ihm Johann Christian Hüttner als Kenner englischer Reisebeschreibungen eine Hilfe.

Goethe hatte seine Karriere als Schriftsteller mit dem Werther-Roman begonnen, der mit dem Freitod des Helden endet. Selbstmord war ein beherrschendes Thema schon in Lessings Dramen und in Mendelssohns Briefen Über die Empfindungen von 1755. Diese Briefe wurden von Lessing rezensiert. Mit Goethes Warnung vor dem Selbstmord wollte sich Lessing nicht befreunden und bezeichnete sie als „kalte Schlussrede“. Durch Mendelssohns Empfindungen konnte er die Thesen gegen den Suizid aus drei verschiedenen Perspektiven nachvollziehen. Mendelssohn argumentierte zum einen von der Überzeugung des Offenbarungsgläubigen aus, dann vom Standpunkt des Ungläubigen und schließlich vom Gesichtspunkt des Deisten. In jedem der drei Fälle gelangte er zur Ablehnung des Selbstmords. Lessing aber verkompliziert in Miss Sara Sampson den Freitod dadurch, dass er den Verführer und Selbstmörder Mellefont mit den Worten „Gnade, o Schöpfer, Gnade!“ aus dem Leben scheiden lässt: Der Christ, dem der Freitod als Todsünde verboten ist, setzt dennoch auf die Gnade des ihn erlösenden Gottes.

Der nächste Aufsatz beschäftigt sich mit Ernst Schönwieses Dichtungsverständnis, wobei auch T.S. Eliot genannt wird. Die Einflüsse auf die idealistische Ästhetik Schönwieses – eines österreichischen Lyrikers der Nachkriegsjahrzehnte – haben viel mit Schiller und etwas mit Hermann Broch zu tun und finden, wie Guthke zeigt, in der zeitgenössischen Literatur eine Entsprechung bei Durs Grünbein. In der Epoche des „Zerfalls der Werte“ (Hermann Broch) ist nach Schönwiese nur der Dichter noch in der Lage, den „Wesenskern“,das „Unzerstör-bare“, zu bewahren oder wiederzuentdecken, indem er die Einheit von Denken, Fühlen und Wahrnehmung im literarischen Werk nachvollziehbar werden lässt. Broch selbst hat genau diese These problematisiert und im „Tod des Vergil“ alle nur denkbaren Argumente gegen sie vorgebracht.

Nach kurzen Studien über Traven, über die Unsterblichkeitsphantasien in Wissenschaft und Literatur sowie einer Interpretation von Michael Krügers Roman Himmelfarb kommt Guthke auf sein wichtigstes Thema zu sprechen: auf seine eigenen transatlantischen Erfahrungen in der amerikanischen Germanistik und Komparatistik. Dieser letzte Teil nimmt ein Drittel des Buches ein und ist überschrieben mit „Von Heidelberg nach Harvard: Erinnerungen an die ,Goldenen Jahre‘ der akademischen Migration”. Diese Erinnerungen machen den eigentlichen Reiz des Sammelbandes aus. Das Kapitel zeigt...

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