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  • Tatort Germany: The Curious Case of German-Language Crime Fiction ed. by Lynn M. Kutch and Todd Herzog
  • Sonja Osterwalder
Tatort Germany: The Curious Case of German-Language Crime Fiction. Edited by Lynn M. Kutch and Todd Herzog. Rochester, NY: Camden House, 2014. 263 pages. $90.00.

Es ist eine alte Klage, dass die Kriminalliteratur in der germanistischen Forschung ein stiefmütterliches Dasein führe. Wohl hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren diese triste Situation ein wenig gebessert, aber gemessen am ungeheuren Erfolg des Genres, an der unaufhörlichen Schwemme an Kriminalromanen, bleibt die wissenschaftliche Ernte weiterhin dürr. Als Schuldige wird oft genug die leidige wertende Unterscheidung zwischen E-und U-Literatur angeführt, die sich in deutschen Landen, besonders wo es um die Themenwahl von Qualifikationsarbeiten geht, noch immer als wirkungsmächtig erweist. So ist es stets verdienstvoll, wenn ein Band mit Aufsatzen zur zeitgenössischen deutschsprachigen Kriminalliteratur erscheint und bemerkenswert, wenn es sich bei den Beiträgern groβenteils um amerikanische Germanisten handelt.

In Tatort Germany: The Curious Case of German-Language Crime Fiction stellen die beiden Herausgeber Lynn M. Kutch und Todd Herzog der deutschsprachigen Kriminalliteratur eine allgemeine Diagnose aus: Sie folge einerseits den internationalen Trends und weise andererseits eine Vielzahl von Eigentümlichkeiten auf, „a specific set of historical und aesthetic conditions“ (4), wie sie in ihrem Vorwort schreiben. Um diese Eigentumlichkeiten einzufangen, werden drei Kategorien ins Feld geführt, deren geheimes Bindeglied der Begriff der Heimat ist: Ort, Geschichte und Identität. Tatsächlich lassen sich unter den ersten beiden Schlagwörtern die augenfalligen Charakteristika deutschsprachiger Krimis verbuchen: da ist die ortliche Gebundenheit, die oberflächlich Lokalkolorit spendet, und da ist die dunkle nationalsozialistische Vergangenheit, die die düstere Gegenwart heimsucht. Die Hauptanstrengung der historischen Ausrichtung des Krimis zielt fraglos darauf ab, der Kollektivschuld ein individuelles Gesicht zu verleihen; über die unterschiedlichen Möglichkeiten der Konkretisierungsbemühungen gibt der Beitrag von Magdalena Waligorska Auskunft, Begriffsarbeit auf dem Feld des Regionalen (und Globalen) liefert Sascha Gerhards, der die titelspendende Tatort-Serie in seine Überlegungen miteinbezieht.

Die beliebte Ansiedlung des Mordgeschehens in der Provinz hat zur Ausformung eines Subgenres geführt: der Regional- oder Heimatkrimi setzt vordergründig [End Page 679] auf idyllische Landschaft, kleinstädtische Gemütlichkeit und dialektale Fürbung; hinter der plakativen vertrauten Fassade freilich hausen Mord, Gier und Grauen. Als bekanntester Vertreter des Regionalkrimis gilt der Österreicher Wolf Haas mit seinen Brenner-Romanen; mit ihnen befassen sich zwei Beiträge des Bandes, darunter jener von Jon Sherman, der zu den sehr lesenswerten des Bandes zählt. In Plurality and Alterity in Wolf Haas’s Detective Brenner Mysteries analysiert Sherman zum einen das Setting der Romane, das er, in einer Linie aufgereiht, als einen Querschnitt Österreichs versteht, zum anderen die Sprachbehandlung des Autors – der ironischlakonische Tonfall des Erzählers, die weite Streuung der Dia- und Soziolekte, die wiederum an das variable Setting anknüpfen. Noch dankbarer ist allerdings Shermans Porträt Brenners als eines Auβenseiters, einer gesellschaftlichen Randexistenz, eines Auswurfs des Systems. Diese Ermittlerfigur, die Sprosse um Sprosse die soziale Leiter hinabsteigt, sich erst als Polizist verdingt, dann als Privatdetektiv, Ambulanzfahrer, Sicherheitswarter, um schlieBlich berufslos iiber einem Bordell zu nisten, ermoglicht es dem Autor, so Sherman, fast feldstudienhaft die gesellschaftlichen Schattenseiten auszuloten. Auch die zunehmende Aufweichung des eigentlichen Krimiplots sowie das Verweilen bei den Nebenfiguren arbeiten mit an einer Gesellschaftskritik, die nicht mehr einen konkreten Fall, sondern das Verbrechen Österreich ins Auge fasst.

Der Heimatbegriff, den der Regionalkrimi verhandelt, ist unbewusst der Freud’-schen Theorie abgeschrieben. In einer seiner berühmtesten Abhandlungen hat der Begriinder der Psychoanalyse das Vertraute und das Unheimliche in engste Nähe gerückt; nicht das Fremde sei unheimlich, sondern das, was einst heimisch und vertraut war und dann verdrängt worden sei. Diese Verbindung zwischen Heimat, Angst und Verdrängung nutzt Susanne C. Knittel als eine Art Vorspann in ihrem Beitrag Case Histories: The Legacy of Nazi Euthanasia in Recent German Heimatkrimis, um im Hauptteil zwei Romane von Rainer Gross zu analysieren. In Grafeneck und Kettenacker ermittelt der Schullehrer und Hobbyarchäologe Hermann Mauser in einer suaddeutschen Kleinstadt weit zurüackliegende Verbrechen, die mit der eigenen Familiengeschichte verknuapft sind. Die Debatte, in...

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