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  • Zwischen Innerer Emigration und Exil. Deutschsprachige Schriftsteller 1933–1945 ed. by Marcin Gołaszewski, Magdalena Kardach, Leonore Krenzlin
  • Paul Michael Lützeler
Zwischen Innerer Emigration und Exil. Deutschsprachige Schriftsteller 1933–1945. Herausgegeben von Marcin Gołaszewski, Magdalena Kardach und Leonore Krenzlin. Berlin: de Gruyter, 2016. 338 Seiten. €89,95.

Der Titel dieses Tagungsbandes ist gut gewählt, denn er verbindet etwas, was bisher allzu streng getrennt wurde. Es lässt sich weiterhin vertreten, dass gravierende Unterschiede zwischen den Werkbedingungen der geflohenen Schriftsteller und der im sogenannten „Reich“ verbliebenen Autoren bestehen, aber bei den Differenzierungen und Abstufungen der Inneren Emigration zeigt sich bald, dass es auch Überschneidungen gibt. Man braucht nur an die – in diesem Band ausführlich behandelte – Situation im Österreich der Jahre des Ständestaats von 1934 bis 1938 zu denken, um die komplizierte Gemengelage zu verstehen. Sozialistisch oder dezidiert humanistisch gesonnene Autoren wie Robert Neumann und Stefan Zweig wichen nach England aus; Autoren wie Hermann Broch, der sich zur literarischen Moderne eines Joyce, Gide und Dos Passos bekannte, hatte während der Zeit der Schuschnigg-Diktatur in Österreich keine Entfaltungsmöglichkeiten und schrieb für die Schublade einen Roman, eine Resolution und eine Erzählung, die er auch im Exil hätte schreiben kö nnen und vergleichbar auch geschrieben hat. Ähnlich war es bei Musil, der ebenfalls in die Isolation geriet. Oder denken wir an einen Sonderfall in Deutschland, an Irmgard Keun, deren BÜcher im sogenannen Dritten Reich nicht mehr publiziert wurden und die 1935 von der Situation der Inneren Emigration in die des Exils wechselte. Das war ein Schritt, den wir auch im Fall von Broch und Musil kennen, die 1938 nach dem „Anschluss“ die Flucht zunächst nach England bzw. in die Schweiz antraten. [End Page 673]

Insgesamt handeln die hier versammelten Aufsätze stärker von der Inneren Emigration als vom Exil. Schade eigentlich, dass in keinem Beitrag der Terminus „Innere Emigration“ problematisiert wird. Er wird zwar in seiner historischen Genese geschildert, jedoch selbst nicht in Frage gestellt. Es wäre sicher überlegenswert, ob nicht in den meisten Fällen der Begriff „Inneres Exil“ passender wäre als der der „Inneren Emigration“. Aber Termini bürgern sich ein und es ist schwer, sie durch neue zu ersetzen.

Statt auf jeden einzelnen der 21 Aufsätze einzugehen, seien die Ergebnisse zusammengefasst. Es wurde oft darüber gestritten, wann der Begriff der „Inneren Emigration“ erstmals aufgetaucht sei und wer ihn geprägt habe. Es stellt sich heraus, dass Leo Trotzki ihn bereits ein Jahrzehnt vor 1933 benutzte, um jene gegen das Sowjetsystem gerichtete Literatur abzuwerten, die von russischen Autoren geschrieben wurde, die nicht vom Marxismus/Leninismus überzeugt waren. Im Hinblick auf die Bedeutungs-Aura der Inneren Emigration zur Zeit des Nationalsozialismus ist festzustellen, dass der Begriff am Anfang bei den Exilierten hoch im Kurs stand. Man erhoffte sich damals von der Inneren Emigration einen erfolgreichen Widerstand gegen das neue Regime. Das erwies sich als Wunschdenken. Immerhin sprach sich auch im Ausland herum, dass sich andere Formen der Dissidenz entwickelten, dass Autoren wie Ernst Wiechert, Reinhold Schneider, Werner Bergengruen, Elisabeth Langgässer und Erika Mitterer Bücher schrieben, in denen sie im Gewand des historischen Romans ihre christlich-humanistische Ethik dem Rassismus und der Willkür, dem Verbrechen und der Versklavung der Hitler-Diktatur entgegensetzten.

Die Beiträge zeigen auf neue Weise, dass es wenig Zweck hat, die Literatur der Inneren Emigration auf den Aspekt des Widerstands zu reduzieren. Man unterscheidet mehrere charakteristische Verhaltensweisen: Erstens ein aktives politisches Resistance-Verhalten, wie es etwa Ernst Wiechert, Reinhold Schneider, Willy Sachse und Günther Weisenborn an den Tag legten. Zweitens die Ablehnung des Nationalsozialismus durch „verdeckte Schreibweise“, ein Begriff, den Dolf Sternberger prägte, und den er in der Auseinandersetzung mit Ernst Jüngers Auf den Marmorklippen gewann. Heute ist Erwin Rotermund der Germanist, der – auch in diesem Sammelband – diese Schreibweise der Tarnung, der Camouflage, des Chiffrierten, des Verschlüsselten, des Zwischen-den-Zeilen-Schreibens untersucht und an Dichtungen der Inneren Emigration Überzeugend nachgewiesen hat. Drittens durch die Äuβerung eines definitiven Gefühls des Fremd-und Unglücklichseins, wie es u.a. bei Oskar Loerke, Stefan Andres, Hermann Kasack, Hans Erich Nossack sowie den Vertretern der...

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