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  • Intermedialität – Multimedialität. Literatur und Musik in Deutschland von 1900 bis heute ed. by Raul Calzoni, Peter Kofler, Valentina Savietto
  • Rolf J. Goebel
Intermedialität – Multimedialität. Literatur und Musik in Deutschland von 1900 bis heute. Herausgegeben von Raul Calzoni, Peter Kofler und Valentina Savietto. Göttingen: V&R unipress, 2015. 206 Seiten + 14 Abbildungen. €40,00.

Innerhalb der Kulturwissenschaften haben sich die visuellen Künste und Medienanalysen seit Langem fest etabliert. Gleiches kann man von den auditiven Entsprechungen weniger sagen, obwohl die einst als komparatistisches Grenzgebiet bezeichnete Erforschung der Beziehungen zwischen Musik und Literatur merklich in den Mainstream gezogen ist. Aber immer noch hat man den Eindruck, dass die Klanganalyse-von der Erforschung physikalisch-akustischer Phänomene über die Erfassung psychologischer und neuro-physiologischer Vorgänge bis zu poetischen, historischen oder gar philosophischen Fragestellungen – immer noch um Selbst-Legitimierung und volle Anerkennung durch andere Disziplinen ringt. So betonen die gegenwärtig florierenden [End Page 668] Sound Studies häufig ihre gleichwertige Stellung gegenüber den Visual Studies und definieren Klang geradezu dialektisch als das supplementär Andere der sichtbaren Wahrnehmung und ihrer Medientechniken.

In diesem Zusammenhang ist man für jeden Beitrag dankbar, der wie der hier vorliegende Aufsatzband das Verhältnis von Musik und Literatur neu beleuchtet. Bedauerlich ist, dass das theoretische Rüstzeug der versammelten Aufsätze nicht ausführlich auf das avancierte Methodenbewusstsein der Sound Studies rekurriert. Dort hätte man historisch-analytische Einsichten in die medientechnische Produktion bzw. Reproduzierbarkeit von Musik finden können, die durchaus für die hier im Vordergrund stehenden Fragestellungen fruchtbar sein konnten. Denn die Bedeutung der Literatur als (noch?) dominantes Forum der sprachlichen Darstellung und Deutung musikalischer Phänomene (Kompositionstechnik, Aufführungspraxis, Rezeption, biographisch-kultureller Hintergrund) ist zumindest in der Moderne durch die Konkurrenz technischer Medien (vom Grammophon bis zum Internet) geprägt. Dennoch bietet der Band viel Interessantes zu kanonischen, aber auch weniger bekannten Beispielen für die wechselseitige Umsetzung musikalischer und literarischer Diskurse.

Das Leben fiktiver oder realer Komponisten und ihres Schaffens nimmt einen breiten Raum ein. Federica La Manna widmet sich Jakob Wassermanns relativ unbekanntem Roman Das Gänsebliimchen und seinem Protagonisten Daniel Nothafft, der als Dekonstruktion des erzromantisch-wagnerischen Komponistentyps dargestellt wird. Valentina Savietto zeichnet Klaus Manns Schilderung der Lebenstragik Tschaikowskys in den deutschen und amerikanischen Fassungen des Romans Symphonie Pathétique nach. Frank Weiher geht dem rein fiktiven Text-Status der Kompositionen Adrian Leverkühns in Thomas Manns Doktor Faustus nach, einem Roman, in dem der philosophisch-kulturkritischen Deutung musikalischer Inspiration mit nie überholter Tiefsinnigkeit nachgefragt wird. Guglielmo Gabbiadini rekonstruiert Franz Fühmann’s Korrektur des schief ideologisierten Bildes E.T.A. Hoffmanns in der DDR. Micaela Latini untersucht die Fiktionalisierung des realen Pianisten Glenn Gould und seinen fiktionalen Antipoden Wertheimer in Thomas Bernhards Der Untergeher. Peter Kofler beleuchtet Elfriede Jelineks Auseinandersetzung mit Franz Schubert und Clara und Robert Schumann. Aber auch andere Themen kommen zur Sprache. So analysiert Albert Gier die Auseinandersetzung „ernster“ Opernkomponisten wie Franz Schreker mit der populären Operette. Die bislang eher unterschatzte Rolle der Musik als Medium traumatischer Erinnerungsarbeit kommt in Raul Calzonis Beitrag zu W.G. Sebald zur Geltung. Im wohl gewichtigsten Beitrag dieses Bandes liefert Siglind Bruhn eine beeindruckend gründliche musikwissenschaftliche Analyse von Walter Steffens’ Klavierquartett Ming I – Verwundung des Hellen, in dem sich der Komponist unter dem inspirierenden Eindruck des altchinesischen Weissagungsbuchs Yijing (I Ging) mit Nelly Sachs’ Schilderung jüdischen Leidens auseinandersetzt.

Über die Beschäftigung mit bestimmten Einzeltexten und -Kompositionen hinaus stellt der Band anregende Fragen zur theoretischen Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen einer intermedialen übersetzung zwischen Musik/Klang, Bild und literarischer Sprache. Dieses Problem beschäftigt bereits die klassisch-romantische Asthetik bzw. Musikmetaphysik, erfährt dann in der Moderne, etwa bei Theodor W. Adorno und Walter Benjamin, im Zusammenhang der Sprachphilosophie und technischen Medienkritik neue Impulse, um in der gegenwärtigen Debatte zur musikalischen [End Page 669] Hermeneutik als Teilgebiet kulturwissenschaftlich ausgerichteter Musikologie eine zentrale Rolle zu spielen. Sehr verkürzt angedeutet geht es u.a. um Folgendes: Wenn man, nicht unumstritten, annimmt, dass die sogenannte absolute Musik (besonders die reine Instrumentalmusik seit der klassisch-romantischen Epoche) eine geistig-ästhetische Autonomie besitzt, die durch tönende Selbstreferenz jenseits tonmalerischer...

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