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  • Tötungsarten und Ermittlungspraktiken. Zum literarischen und kriminalistischen Wissen von Mord und Detektion ed. by Maximilian Bergengruen, Gideon Haut, Stephanie Langer
  • Thomas W. Kniesche
Tötungsarten und Ermittlungspraktiken. Zum literarischen und kriminalistischen Wissen von Mord und Detektion. Herausgegeben von Maximilian Bergengruen, Gideon Haut und Stephanie Langer. Freiburg: Rombach, 2015. 228 Seiten. €48,00.

Der hier zu besprechende Band ist aus einer Tagung hervorgegangen, die im Juni 2014 in Lausanne stattgefunden hat. Die Tagung war ihrerseits Teil des vom Schweizer Nationalfonds geförderten ProDoc-Projekts Das unsichere Wissen der Literatur. Natur, Recht, Ästhetik und das Buch ist der erste Band der im Rombach Verlag erscheinenden Reihe Das unsichere Wissen der Literatur. Damit (und auch im Untertitel) [End Page 663] ist auch der methodologische Rahmen der in diesem Band vereinten Beitraäge genannt: Die Arbeiten reihen sich ein in das seit Anfang der achtziger Jahre entwickelte Forschungsparadigma, das unter Bezeichungen wie „Geschichte des Wissens“ oder „Poetologie des Wissens“ formiert. Deshalb kann es auch nicht überraschen, wenn besonders Texte solcher Autoren untersucht werden, die Literatur und Disziplinen wie Jurisprudenz oder Medizin zueinander in Beziehung setzten, wie Friedrich Schiller, E.T.A. Hoffmann oder Georg Büchner.

Die allgemeine Leitfrage des Bandes lautet in etwa: Welche Art(en) von Wissen werden im Bereich des Verbrechens durch kriminalistische und literarische Verfahren kritisch überprüft, für obsolet erklärt, erzeugt und tradiert? Als Betrachtungszeitraum zur Beantwortung dieser Frage wurde das „lange 19. Jahrhundert“ gewaählt. Dies ist auch durchaus nachvollziehbar, weil gerade in dieser Zeit einerseits wichtige Veraänderungen im juristischen Bereich stattfanden und andererseits die literarischen Verfahren zur Beschreibung von Verbrechen und ihrer Aufklaärung sich auf bemerkenswerte Weisen ausdifferenzierten. Konkreter gefasst werden die Vorgaben und Ziele des Projektes in der Einleitung des Herausgebers Maximilian Bergengruen. Hier heißt es: „gefahndet [wird] nach der verborgenen strukturellen Identitaät zwischen dem Mord, dem fundamentalen Bruch des Strafgesetzes, und den strafprozessrechtlichen Möglichkeiten, diesen aufzuklaären.” Die „Arbeitshypothese“ lautet, dass diese behauptete Identitaät in literarischen Texten ,,nicht nur dargestellt, sondern auch reflektiert wird” (7).

Die Beitraäge des Bandes sind in drei Gruppen organisiert. Der erste Teil widmet sich dem Wechsel der Ermittlungsverfahren um 1800, also der Ersetzung des inquisitorischen Verfahrens, das mithilfe der Folter die Wahrheit etablieren sollte, durch den Indizienbeweis und die Überführung des Taäters durch psychologische Verhörmethoden. Christian Kirchmeier zeigt am Beispiel von J.D.G. Temme (1798–1881), wie Änderungen im Strafrecht die literarische Darstellung von Verbrechen und Ermittlungen beeinflusst haben. Die didaktischen Kriminalberichte der Frühmoderne mit ihrer moralisierende Legitimierung der Rechtsnorm und ihrer Verurteilung des Verbrechers als jemanden, der sich außerhalb der Ordnung stellt, werden zunaächst verdraängt von der spaätaufklaärerischen Fallgeschichte, die das bestehende Rechtssystem kritisiert, indem sie Widersprüche zwischen Legalitaät und Legitimitaät, zwischen Gesetz und Rechtsempfinden aufzeigt. Erst in den Erzaählungen von Auguste Groner (1850–1929) ersetzt das Raätsel als literarische Form die Fallgeschichte. Jetzt wird nicht mehr die Rechtsnorm kritisiert, sondern die Arten der Ermittlung werden in den Vordergrund gerückt. Antonia Eder kann anhand einer Lektüre von Schillers Romanfragment Der Geisterseher (1787–1789) zeigen, dass in diesem Text „den Indizien […] eine diskursiv wie metapoetisch überlegene Wirkmaächtigkeit gegenüber der verdaächtig gewordenen Qualitaät von Zeugenschaft, respektive Gestaändnis, zugesprochen wird” (43). Indizien werden im Geisterseher zum zentralen Problemfeld: Das Romanfragment wird „indizierend“ erzaählt, d.h. es handelt sich um ein „asymptotische[s] Konzept des Erzaählens“ (57), das mit Brüchen arbeitet und unabgeschlossen bleibt, weil es nur noch Wahrscheinlichkeit erzielt und nicht mehr Wahrheit. Der Aufsatz von Klara Schubenz über Droste-Hülshoffs Die Judenbuche versucht Theodor Fontanes Kritik, dass es sich eigentlich um zwei Geschichten handele, die miteinander konkurrieren, zu widerlegen. Als Fazit haält die Autorin fest: Die Judenbuche ist eine Infragestellung der Aufklaärung im doppelten Sinn: Nicht nur werden die [End Page 664] Kriminalfälle nicht gelöst, es herrscht am Ende auch „kognitive Finsternis“ (76). Gideon Haut liest Fontanes Novelle Ellernklipp (1881) als literarische Reflexion auf die Problematik, Indizien als Zeichen zu lesen. Im poetischen Realismus stehen nicht mehr die Indizien im Brennpunkt, sondern die Ermittlerfiguren, die mit Indizien arbeiten m...

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