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Reviewed by:
  • Handbuch Literatur & Visuelle Kultur ed. by Claudia Benthien and Brigitte Weingart
  • Rüdiger Singer
Handbuch Literatur & Visuelle Kultur. Herausgegeben von Claudia Benthien und Brigitte Weingart. Berlin, Boston: de Gruyter, 2014. vii + 642 Seiten + zahlreiche s/w Abbildungen. €149,95.

Auf schwarzem Cover prangt der Titel dieses Bandes in weißen Buchstaben – bis auf das blau grundierte „&“-Zeichen, das programmatisch anstelle der Buchstabenkombination „und“ steht: Auf „Schriftbildlichkeit“ wird hier verwiesen und damit auf ein Phänomen, das sich nach Überzeugung von Claudia Benthien und Brigitte Weingart der beliebten „Dichotomisierung“ von Sprache/Text/Literatur und Bild/Kunst/Visueller Kultur entzieht (9). Beliebt ist diese Dichotomisierung insbesondere bei jenen Verfechtern eines „iconic“, „pictorial“, „visual/istic“ oder auch „performative turn“, die immer noch ankämpfen gegen Richard Rortys Ausrufung des „linguistic turn“ 1967 und gegen das anmaβende Modell von „Kultur als Text“, um nunmehr das Ende der „Gutenberg-Galaxis“ (Marshall McLuhan) und eine „neue Macht der Bilder“ zu beschwören (Hubert Burda und Christa Maar, zit. n. S. 1).

Solche Frontstellungen wollen die Literaturwissenschaftlerinnen Benthien und Weingart mit diesem tatsächlich ersten Handbuch „speziell zum Verhältnis von Literatur und visueller Kultur“ aufweichen (2). Die Argumente dafür sind vertraut: Texte, als Schrift, wirken auch visuell; mentale ‚Bilder’ können auch durch ‚bildhafte’ Sprachverwendung erzeugt werden. Allerdings hat die Beschäftigung mit medialen „Grenzsetzungen und -überschreitungen“ (15) zwischen Wort und Bild schon längst im Rahmen der komparatistischen Interart Studies und neuerdings in der Intermedialitätsforschung überzeugende Untersuchungsergebnisse hervorgebracht, und zumindest letztere bezieht routinemäßig auch „alltäglich-profane Bilder“ im Sinne eines „weiten Kulturbegriff[s]“ mit ein (7; siehe Artikel 2.7, bes. S. 142). Doch geht „der Bereich des Visuellen über ‚Bilder‘ als Artefakte weit hinaus und umfasst zum Beispiel auch Praktiken und Dynamiken des Sehens und Gesehenwerdens“ (7), insbesondere „im Sinne der für Machtverhältnisse aufmerksamen Perspektive der cultural studies“ (6). Eben diese Entgrenzung und diese Politisierung haben aber auch das Misstrauen kontinentaleuropäischer und eher hermeneutisch orientierter Literaturwissenschaftler*innen geweckt. Ihnen versichern Benthien und Weingart, „dass die Literaturwissenschaft zur Analyse einer ebenso wenig ‚rein bildlich‘ wie ‚rein textuell‘ [End Page 629] verfassten visuellen Kultur, die überdies von literarischen Texten mitkonstituiert und reflektiert wird, einiges beizutragen hat“ (7). Dabei gehe es allerdings nicht um eine heimliche Wiederbelebung des Paradigmas „Text als Kultur“ und also „nicht um die Übertragung literatur- und textwissenschaftlicher Methoden auf bildlich verfasste beziehungsweise visuell erschließbare Gegenstände – wohl aber darum, die Beziehungen zwischen Literatur und visueller Kultur als einen Gegenstandsbereich zugänglich zu machen, der die konstitutive Funktion von Sprache und Schrift in Prozessen visuell vermittelter Bedeutungsproduktion auf besondere Weise exponiert“ (7f.). Wie aber könnte ein Beitrag der Literaturwissenschaft aussehen, wenn er auf bewährte Methoden verzichten soll, und wie wichtig ist dabei die ideologiekritische Perspektive der Visual Culture Studies?

Die 29 Artikel sind unter drei Überschriften versammelt: „Theoretische Perspektiven“ (2), „Problematisierungen und Forschungsfragen“ (3), „Medienhistorische Konstellationen und exemplarische Analysen“ (4). Im ersten Teil „werden zentrale Theorieansätze vorgestellt, sowohl mit Blick auf historische Diskurse – wie literarische Bildlichkeit und Rhetorik, die […] ‚Laokoon-Debatte‘ oder das Bilder-Denken in der frü hen Kulturwissenschaft –, interdisziplinäre Ansätze wie Semiotik oder Intermedialität als auch auf jüngste Entwicklungen wie literaturwissenschaftliche Materialitätsforschung, kognitionsnarratologische Ansätze oder eben Theorien der visual culture studies“ (19). Bezeichnend ist die Schlussformulierung „oder eben“: Hier werden nicht etwa Grundtheoreme und Leitthemen der visual culture studies vorgestellt, wie es zum Beispiel in der auch für Literaturwissenschaftler*innen konzipierten „Einführung in die Bildwissenschaft“ von Gustav Frank und Barbara Lange (Darmstadt: WBG, 2010) geschieht. Vielmehr soll offenbar gesichtet werden, welche „theoretischen Perspektiven“ einer an visueller Kultur interessierten Literaturwissenschaft zur Verfügung stehen – wobei dann doch der Eindruck ensteht, dass hermeneutische und semiotische Methoden eben nicht aufgegeben werden müssen, sondern allenfalls angepasst. Erst dann stellt Bernd Stiegler den „Fragenhorizont“ der „Visuellen Kultur“ vor (2.8), der „hierzulande“ weniger mit der „Bildwissenschaft“ gemein habe als mit der von Friedrich A. Kittler geprägten (in diesem Band aber kaum behandelten) Medienwissenschaft: Beide wurden von einem Literaturwissenschaftler – in diesem Fall W.J.T. Mitchell – in „kritische[r] Absetzung“ zu ihrem Fach gegründet und beziehen sich „auf philosophische, soziologische, aber auch kulturwissenschaftliche...

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