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  • Literarische Bienen aus drei Jahrhunderten—Literaturwissenschaftliche Fallstudien zu Poetiken und Praktiken des Sammelns
  • Monika Schmitz-Emans
Sammel(l)ei(denschaft). Literarisches Sammeln im 19. Jahrhundert. Von Günter Häntzschel. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014. 208 Seiten. €29,80.
Gesammelte Welten. Von Virtuosen und Zettelpoeten. Von Ulrich Stadler und Magnus Wieland. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014. 286 Seiten + 2 farbige und 29 s/w Abbildungen. €48,00.
Lesen, Kopieren, Schreiben. Lese- und Exzerpierkunst in der europäischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Herausgegeben von Elisabeth Décultot. Übersetzt aus dem Französischen von Kirsten Heininger u. Elisabeth Décultot. Berlin: Ripperger & Kremers, 2014. 336 Seiten. €39,90.

Dem Thema „Sammeln“ und seinen verschiedenen Facettierungen ist in jüngerer Zeit eine erhebliche Zahl von Untersuchungen und Erörterungen gewidmet worden. Das Spektrum reicht von Entwürfen philosophischer und kulturtheoretischer Modelle des Sammelns1 über kultur- und wissensgeschichtliche Forschungen zu Praktiken des Sammelns unter bestimmten historischen Rahmenbedingungen und im Zeichen spezifischer Zwecke2 bis zu vielfältigen Einzelstudien über konkrete historische Sammlungen, ihre Genese, ihre Funktionen und ihre Struktur.3 Eng damit verzahnt sind Forschungen zur Geschichte spezifischer Sammlungstypen, etwa der Kunstsammlung, der naturkundlichen und der historischen Sammlung, ferner Studien zu Konzept, Geschichte und Gestaltungsoptionen des Museums4 sowie Studien zur Institution des Archivs5, um nur einige wichtige Forschungsrichtungen zu nennen. Anschlussstellen an benachbarte, partiell kongruente Forschungsfelder ergeben sich mit Blick auf wissenspoetologische Fragen. Diese betreffen insbesondere die in Sammlungen konkretisierten Ordnungsvorstellungen, respektive den Modell-, Repräsentations- oder Abbildcharakter historischer [End Page 560] Sammlungstypen und Sammlungen. Untersuchungen zu Formaten, Praktiken und Konzepten von „Darstellung“ betreffen den Themenkomplex „Sammeln“ in (mindestens) doppelter Hinsicht: zum einen, insofern Sammlungen etwas darstellen (in welchem Sinn auch immer), zum anderen, insofern sie selbst dargestellt werden. Denn in den Blick rücken mit dem Thema „Sammeln“ ja auch Fragen der Katalogisierung, der Ausstellung, der Beschreibung, der Kommentierung und Vermittlung von Gesammeltem.

Vor allem die Differenzierung zwischen res und verba als Sammelobjekten erscheint signifikant. Gesammelt werden können eben nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Objekte, wie insbesondere Vokabeln, Redewendungen und ganze Texte. Zwar erscheint es hier – anders als im Fall gesammelter res – sinnvoll, zwischen dem eigentlichen Objekt des Sammelns (dem sprachlichen ‚Fundstück‘) und der Trägermaterie zu unterscheiden. Aber sowohl Sammelpraxis als auch deren Resultate materialisieren sich; auch wer verba sammelt, geht mit konkreten Trägersubstanzen um und gibt seiner Sammlung eine Gestalt, die unter anderem eine sinnlich-physische Dimension hat.

Die Literaturwissenschaft hat verschiedene Gründe, sich mit dem Thema – respektive dem Themenkomplex – des Sammelns zu beschäftigen und den Dialog mit anderen einschlägig interessierten Disziplinen zu suchen.6 Betrachtet man den schriftstellerischen Arbeitsprozess unter dem Aspekt, dass er maßgeblich auf Praktiken des ‚Sammelns‘ bereits bestehender Texte beruht (etwa im Zeichen des Intertextualitätsparadigmas), so rücken Produktionsund Rezeptionsprozesse nahe aneinander.

Mit Blick auf die literarischen Werke selbst sind weitere Dimensionen des Bezugs auf Sammlungen und Sammelprozesse zu unterscheiden: So können literarische Texte auf inhaltlich-thematischer Ebene von Sammlungen, vom Sammeln und von Sammlern handeln. Hier bieten sich vielfältige Möglichkeiten – vom Erzählen über Sammelvorgänge und den Umgang mit Sammlungen bis hin zur Beschreibung von Gegenständen, die zu Sammlungen gehören, von der Thematisierung realer (historischer) Sammlungen bis hin zur Schilderung erfundener Sammlungen. Manche literarische Texte erinnern durch ihre Form ans Sammeln – etwa als Kollektionen relativ selbständiger Textbausteine, die ihren Kompilationscharakter evident machen und zudem vielleicht paratextuell als Produkte des Sammelns ausgewiesen werden. Selbst auf stilistischer Ebene kann sich die Orientierung an realen oder imaginären Sammlungen ausdrücken – etwa durch Mimikry an Notiz- oder Katalogtexte.

Eine weitere Ebene, auf der sich Beziehungen zwischen literarischen Texten und Sammelpraktiken und -projekten ergeben, ist die der reflexiven Konzeptualisierung und theoretischen Diskursivierung. Sammlungen und literarische Texte lassen sich mit Blick auf ihre Funktionen, Intentionen, Effekte und Medialitäten vergleichen und können in manchen Fällen im Zeichen [End Page 561] einer verbindenden „Poetik“ betrachtet werden. Solche „Poetiken“ des Sammelns können Verschiedenes akzentuieren, beispielsweise die memoriale Funktion von Dingsammlungen und Texten – oder das Prinzip der Narration als verbindendes Konstitutionsprinzip.7

Gleich mehrere rezente Publikationen gelten dem Thema „Sammeln und Literatur“ aus historischer wie aus systematisch-konzeptioneller Perspektive. Als...

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