In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • ABCD by Rimini Protokoll, and: Ja und Nein/Sí y No. Vorlesungen über Dramatik/Conferencias sobre dramática by Roland Schimmelpfennig, and: Die falsche Frage. Theater, Politik und die Kunst, das Fürchten nicht zu verlernen by Kathrin Röggla
  • Josef Bairlein (bio)
Rimini Protokoll. ABCD. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Johannes Birgfeld. Recherchen 100. Berlin: Theater der Zeit, 2012, 176Seiten.
Roland Schimmelpfennig. Ja und Nein/Sí y No. Vorlesungen über Dramatik/Conferencias sobre dramática. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Johannes Birgfeld. Recherchen 107. Berlin: Theater der Zeit, 2014, 234Seiten.
Kathrin Röggla. Die falsche Frage. Theater, Politik und die Kunst, das Fürchten nicht zu verlernen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Johannes Birgfeld. Recherchen 116. Berlin: Theater der Zeit, 2015, 108Seiten.

Die Universität des Saarlandes organisiert seit 2012 die Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik, die von Rimini Protokoll, Roland Schimmelpfennig, Kathrin Röggla, Albert Ostermaier und 2016 von Falk Richter übernommen wurde. Zu den ersten drei Dozenturen sind im Verlag Theater der Zeit Publikationen erschienen–zuletzt Kathrin Rögglas Die falsche Frage.

In ihren drei Vorträgen fragt Kathrin Röggla nach der Möglichkeit des Theaters und dramatischer Literatur in der heutigen Gesellschaft. Sie entwirft ein heterogenes Bild gegenwärtiger Gesellschaft, indem sie sich nicht zuletzt auf eine Vielzahl theoretischer Positionen beruft. Ausgangspunkt ihrer ersten Vorlesung ist das Primat des ökonomischen Diskurses, der auch das Theater bestimme, ein Marktdenken, in das die Autorin selbst verstrickt sei (vgl. S. 17). Katrin Röggla „will Gesellschaft als Zusammenhang verstehen, auch wenn er nicht mehr in der geschlossenen Form beschreibbar ist“ (S. 22). Theater brauche vor allem eines: Zeit für „Theorie [End Page 123] und systemische Impulse“ (S. 18), Zeit für ästhetische Setzungen und Positionierungen. Sie richtet sich damit vor allem gegen ein Theater des Performativen, des reinen Ereignisses und der „Gegenwartsschleifen“ (S. 22), ein Theater auch, das schneller und marktgerechter, da unmittelbarer produzieren könne. Sie plädiert für einen „Wirklichkeitsstopp“ (S. 18) und schließt hiermit, wenn auch nicht kritiklos, an Bernd Stegemanns oder Fritz J. Raddatz’ Kritik des Performativen an.

Röggla macht sich auf die Suche nach der Möglichkeit gegenwärtigen Theaters, das nicht in der Gegenwart verharrt, sondern Zukunft eröffnet, und der Möglichkeit, dieses Theater im dramatischen Schreiben zu fundieren. Sie „interessiert derText, derText, derText!“ (S. 82), und sie „will Formen des Sprechens finden, die den Gewaltzusammenhang gesellschaftlicher Verhältnisse deutlicher hervortreten lassen und gleichzeitig unterlaufen.“ (S. 22)Auf dieser Suche begegnet sie unter anderem Roland Barthes und der Atopie des Schreibens oder Gilles Deleuze und der Idee des Textes als Fremdsprache wie Territorium. Fremdsprachen „zielen auf eine relevante Struktur“ (S. 30), sind „Zusammenballungen sprachlicher Zumutungen“ (S. 29). Mit ihnen möchte sie sich an die Grenze der Sprache begeben, auf Hexenlinien, die das Systemdurchbrechen, reiten. Und so hofft Röggla auf die „Verschiebung durch den Konjunktiv, das Fehlen einer zentralen Figur, Verrückung durch Rhetorik, durch die paradoxe Anwesenheit eines Erzähler-Ichs“ (S. 30), um das Abwesende, die blinden Flecken an derGrenze des Schweigens sichtbar zu machen.

Röggla gelingen immer wieder treffende Beschreibungen ihrer eigenen Werke: „Meine Figuren sind paradoxe Kollektive, Teams, die eher Nicht-Teams sind, die eigentlich immer gegeneinander arbeiten“ (S. 61). Die Autorin wendet sich gegen die „Kollektivseligkeit“ (S. 60), wie sie derzeit im Theater zelebriert werde, gegen eine „Romantisierung der Revolte“ (S. 56). Und sie fragt beständig, wie in einer „zu Ende individualisierten Gesellschaft mit narzisstischen Störungen und Depression“ (S. 54), im „Spiegelkabinett des personalized Internet“ (S. 77) oder in der „Mainstreamisierung kritischer Positionen“ (S. 71) Theatertexte zwischen Markt- und Realfiktionen noch Widerstand leisten können.

Roland Schimmelpfennig bekundet gleich auf den ersten Seiten von Ja und Nein, zu Beginn der ersten Vorlesung, dass die Theorie, das Schreiben über das Schreiben, nicht das seinige sei (vgl. S. 18). Konsequent verzichtet er dann auch weitgehend hierauf. Seine drei Vorlesungen setzen sich zum größten Teil aus Passagen seiner Theatertexte zusammen–durchbrochen von biographischen Skizzen und knappen Notizen zum Theater und dem literarischen Schreiben. Der Band ist zweisprachig erschienen; er vereint die deutschsprachigen Vorlesungen und ihre Übertragung ins Spanische.

Das Theater thematisiert für Schimmelpfennig...

pdf

Share