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Reviewed by:
  • Oper als Aufführung–Neue Perspektiven auf Opernanalyse by Daniele Daude
  • Bernd Hobe (bio)
Daniele Daude, Oper als Aufführung–Neue Perspektiven auf Opernanalyse. Bielefeld: transcript Verlag, 2014, 291Seiten.

Neue Perspektiven auf Opernanalyse verspricht Daniele Daude mit ihrer Dissertation Oper als Aufführung. Ihr Ziel ist es, „ein systematisches Instrumentarium zu entwickeln, mittels dessen die Prägungen einer Opernaufführung [. . .] in den Analyseprozess mit einbezogen werden“ (S. 14). Für ihre Untersuchung wählte Daude zwei an der [End Page 117] Staatsoper in Berlin entstandene Inszenierungen von Ruth Berghaus: Der Barbier von Sevilla (Premiere: 1968, damals noch auf Deutsch gesungen) und Pelléas et Mélisande (1991). In sieben Aufführungsbesuchen zwischen 2002 und 2008 (viermal Barbier und dreimal Pelléas) gewinnt Daude ihre (primären) ‚Forschungsgegenstände‘. Dabei verfolgt sie nicht mehr das Ziel einer Tansformations- oder Inszenierungsanalyse, sondern stellt eineAufführungsanalyse vor. JederAufführung ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das in „Sequenzen“ (Aufführungsausschnitte unterschiedlicher Länge) gegliedert ist. Zu Beginn jeder Sequenz wird aus Daudes Beobachtungsprotokoll zitiert. In zwei Teilanalysen (erste Barbier-Aufführung/„Sequenz 2“, erste Pelléas-Aufführung/„Sequenz 4“) und zwei Komplettanalysen (vierte Barbier- und dritte Pelléas-Aufführung) sind es Rollenfiguren bzw. ihre DarstellerInnen („Figurenanalyse“) oder die vier unterschiedlichen Ebenen von Dramaturgie (Basis Libretto), Musikdramaturgie (Partitur), Inszenierung und Aufführung („Vier-Schritt-Analyse“), mit denen die Analysen gegliedert sind.

Theoretisch-methodisches Rückgrat ist die Begriffstrias „Gesten, Knoten, Korrespondenzen“. Der (weite) Gestenbegriff zielt auf den „produzierenden Pol einer Aufführung“. Die Autorin unterscheidet „musikalische Gesten“, „inszenatorische Gesten“ und „performative Gesten“ (aufführungsspezifische Momente der Bedeutungserzeugung). Der Knotenbegriff bezieht sich auf „den rezipierenden Pol einer Aufführung“. Knoten sind erfahrene Spannungsmomente, die aus individueller ästhetischer Erfahrung resultieren. Analog zu den Gesten wird zwischen musikalischen bzw. musikdramaturgischen Knoten, Inszenierungsknoten und Aufführungsknoten unterschieden. Daude macht es sich zur Aufgabe, performative Gesten und Aufführungsknoten zu identifizieren und zu erläutern. Ein markantes Merkmal der Arbeit ist die Darstellung des Prozesses, den die Autorin in der Beschäftigung mit ihren Gegenständen (die Inszenierungen und Aufführungen derselben) durchlaufen hat. Sie stellt fest, „dass Aufführungen nach unterschiedlichen Kriterien erfasst werden, je nachdem, ob es der erste, zweite oder dritte Besuch einer Inszenierung ist“ (S. 260). Teilweise (wie etwa bei der dritten Barbier-Aufführung) fließen auch Publikumsbeobachtungen oder -befragungen ein. Die Befragung von einzelnen Aufführungsbesuchern gerät bisweilen recht bizarr und trägt eher zu einem Erkenntnisgewinn über die Befragten als zur Aufführung bei, etwa bezüglich der Reichweite des Begriffs „expressionistisch“ (S. 234). Zwischengeschaltet ist für jede Inszenierung ein Kapitel „Inszenierungsanalyse“, das insbesondere auf Recherchen im Nachlass Berghaus’ (Regiebuch, -klavierauszug, Notizen und Protokolle) basiert. Im Fall vom Barbier wird eine vergleichende ‚Analyse‘ mit der Inszenierung von Daniel Slater (Komische Oper Berlin 2002) vorgenommen, bei welcher die Autorin als Regiehospitantin beteiligt war.

Das begriffliche Grundkonzept „Gesten, Knoten, Korrespondenzen“ erweist sich zumindest in seinen Grundzügen als fruchtbar. Die Unterscheidung von Inszenierungs- und Aufführungsknoten vermag allerdings nicht vollends zu überzeugen. Ist es überhaupt sinnvoll von „Inszenierungsknoten“ zu sprechen? Denn es sind ja–zumindest im Konzept von Daude–nie Inszenierungen, die ästhetisch erfahren werden, sondern immer nur Aufführungen (von Inszenierungen). Die Differenzierung von Inszenierungs- und Aufführungsknoten ist da schwer durchhaltbar. Inszenierungsknoten können doch nur als Aufführungsknoten wahrgenommen werden. Und was (in der ästhetischenWahrnehmung) womöglich ausschließlich als Aufführungsknoten identifiziert wird, könnte immer auch Inszenierungsknoten sein.

Aus der Konzentration auf die Aufführungen gelingen bemerkenswerte Einzelbeobachtungen. Etwa bezüglich der subtilen Verbindung der beiden Figuren Geneviève und Pelléas, die durch die „gleiche Langsamkeit“ ihrer Bewegungen hergestellt wird. Daude formuliert hierfür die Kategorie „performative Korrespondenz“ (S. 180). Nuanciert beobachtet wird auch, wie Rinat Shaham (Mélisande) in der Haarszene (III.1) den Namen „Pelléas“ singt: „ohne Eile, ohne schleppende Emphase“; eine „leichteUnterstreichung des aufgezeichneten Tenuto“ vermag dabei ihre Klage zu verdeutlichen. Denn durch die von Pelléas hier missverstandene Rosenmetapher verliert sie ihren „Verbündeten und Spielkameraden“ (S. 196). Oder Katharina Kammerloher [End Page 118] (Rosina), die durch ihre Realisierung der inszenatorischen Gesten eigene performative Gesten kreiert und so eine sexualisierte Lesart für Rosina eröffnet (S. 127...

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