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Reviewed by:
  • Walter Benjamins Übersetzungsästhetik. Die Aufgabe des Übersetzers im Kontext von Benjamins Frühwerk und seiner Zeit by Von Julia Abel
  • Rolf J. Goebel
Walter Benjamins Übersetzungsästhetik. Die Aufgabe des Übersetzers im Kontext von Benjamins Frühwerk und seiner Zeit.
Von Julia Abel. Bielefeld: Aisthesis, 2014. 399Seiten. €45,00.

Seit geraumer Zeit hat sich in der internationalen Benjamin-Forschung so etwas wie ein zweifacher Paradigmenwechsel abgezeichnet. Zum einen wendet man sich ab von der Bevorzugung des „späten“ Benjamins und seiner umfassenden Analyse der geschichtsphilosophischen Ursprünge, medientechnologischen Neuerungen und groß-städtischen Kulturtopographien der hochkapitalistischen Moderne. Zum anderen distanziert man sich auch von der Tendenz, Benjamins Texte in methodischen turns zu aktualisieren, deren Erkenntnisinteressen zwar in den Schriften antizipiert werden, aber erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts sich in neuen Analysemodellen verwirklichten; zu ihnen gehören u.a. die Dekonstruktion, die postkoloniale Theorie und die Gender-Forschung. Als Alternative zu diesen Paradigmen wendet man sich bevorzugt dem Frühwerk Benjamins zu, wobei der Aktualisierungsdrang eher einer streng historisch-kritischen Auslegung der Texte im Kontext der Entstehungsbedingungen und zeitgenössischen Wirkung(slosigkeit) weicht.

Dieser Tendenz gehört auch die vorliegende Studie an, die als Dissertation an der Bergischen Universität Wuppertal entstand. Die Vorzüge und Nachteile der traditionell deutschen Doktorarbeit zeichnen sich deutlich ab: die ungemein akribische Aufarbeitung der ausufernden Sekundärliteratur zu Benjamins Übersetzungsästhetik und Sprachphilosophie (obwohl erstaunlicherweise Ulrich Welbers’ monumentale Arbeit Sprachpassagen. Walter Benjamins verborgene Sprachwissenschaft [München: Fink, 2009] in der Bibliographie nicht auftaucht); die daraus erfolgende kenntnisreiche, oft überdetaillierte Rekapitulation geistesgeschichtlicher Traditionen; der genaue, [End Page 439] texthermeneutische Nachvollzug des Benjamin’schen Denkens; und natürlich die schier endlosen Fußnoten, die oft mehr als die Hälfte der Druckseite in Anspruch nehmen und manchmal den Haupttext geradezu zum Verschwinden zu bringen drohen.

Dennoch sei betont, dass diese Studie zum berühmten Aufsatz über die „Aufgabe des Übersetzers“ wohl die bis jetzt umfassendste Rekonstruktion dieses Textes und seiner vielfältig verschlungenen, durch den esoterischen Anspielungs- wie Verschleierungsduktus in intertextelle Bewegung gesetzten Beziehungen zu anderen, teils verwandten, teils entgegengesetzten Denkpositionen und -traditionen liefert. Dementsprechend formuliert Abel die methodische Prämisse ihrer Arbeit dahingehend, „dass sie einem Begriff von Übersetzung Rechnung zu tragen hat, der aufgrund seiner esoterischen Präsentation unverständlich bleiben muss, solange seine erkenntnistheoretischen und ästhetischen Voraussetzungen unaufgedeckt bleiben“ (26). Richtig betont die Verfasserin, dass die Esoterik (nicht nur) des Übersetzer-Aufsatzes als Kritik am diskursiven Denken und als Niederschlag von Benjamins Reflexion auf die Darstellungsproblematik der außerdiskursiven Wahrheit zu verstehen ist. Berechtigt ist auch Abels Vorgehen, dieses esoterisch-anspielungsreiche Verfahren Benjamins gerade nicht zu reproduzieren, sondern es analytisch-begrifflich auf seine Zusammenhänge, Kontexte und Verweisungen hin transparent zu machen. Benjamins Konzeption der Übersetzung, so zeigt Abel, ist „tief in seiner Erkenntnis-, Kunst-, Geschichts-, vor allem aber in seiner Sprachphilosophie verankert“ (28), wobei die „historischgenetische Analyse der Entwicklung bestimmter Konzepte vor und nach Entstehung des Essays“ notwendig wird (29).

So berücksichtigt Abels Rekonstruktion u.a. die Aufarbeitung des Subjekt-Objekt-Problems seit Descartes und Kant; die metaphysische Trennung von Wahrheit und Erkenntnis; sprachkritische Modelle bei Hamann, Humboldt und Novalis, aber auch bei Mach, Mauthner, Nietzsche, Hofmannsthal und Buber. Benjamins Übersetzerästhetik wird verortet in seiner Sprachmetaphysik und seinen Theorien zur Autonomie des Kunstwerks und zur Aufgabe der Kritik sowie seiner Reflexion über die Möglichkeit und Grenzen des (Über-)Lebens und der Übersetzbarkeit der Werke. Zentral behandelt werden Benjamins Ausführungen zur Sprachbewegung, dem Verhältnis der Einzelsprachen zueinander und der utopischen Restitution der Selbstoffenbarung der reinen Sprache als Ort der Wahrheit, die allerdings in den historisch bedingten Einzelwerken und der durch Übersetzungen in Gang gesetzten Sprachbewegung immer nur unvollkommen und partiell aufleuchtet.

Vieles wird dem ausgewiesenen Benjamin-Kenner aus der früheren Forschung bekannt vorkommen. Oft hätte man sich eine schärfere Neuformulierung und ein orginelleres, Benjamins Positionen weiterdenkendes und in neuen Kontexten verortendes Vorgehen gewünscht. Aber besonders gegen Ende der umfangreichen Studie gelingt es Abel überraschend und überzeugend, relativ unbekannte bzw. vernachlässigte Beziehungen zwischen Benjamins Sprach- bzw. Übersetzungsmetaphysik und zeitgenössischen Stimmen zu Tage zu fördern. So unterstreicht der Bezug auf Rudolf Pannwitz, Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Borchardt die kulturkonservative...

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