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  • Freuds Fluch
  • Elisabeth Strowick (bio)

“[F]lectere si nequeo superos, Acheronta movebo.”1 / ‘Wenn ich die Bewohner der Oberwelt nicht beugen kann, werde ich den Acheron bewegen.’ Die “furious speech,”2 die wir hier hören, ist die der Juno in Vergils Aeneis, welche im Kampf gegen Aeneas Allecto zu Hilfe ruft. Es ist zugleich die furiose Rede, welche Freuds Traumdeutung begleitet: Das Vergils Epos entnommene Motto der Traumdeutung wurde vielfach in Analogie zu Freuds Theorie des Traums gelesen, wonach es die verdrängten Wunschregungen sind, welche—vom Bewusstsein zurückgewiesen—sich der Kräfte des Unbewussten bedienen.3 Ich [End Page 679] will einer solchen Deutung hier nicht folgen, sondern vielmehr den furiosen Sprechakt als solchen—im Sinne von Kraft/force4—zum Ausgangspunkt meiner Lektüre nehmen. Auf eine Illustration von Theorie reduziert, büßt das Motto das Skandalöse ein, welches ihm als Sprechakt innewohnt, ja, womit die Traumdeutung ihrerseits als spezifischer Sprechakt erscheint. “Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo.” Junos Anrufung der Furie Allecto im Zuge der Verwünschung Aeneas’ eröffnet einen Schauplatz von Kraft. Der Furor der Göttin setzt sich im Furor Allectos fort, welche Kräfte der Zerstörung mobilisiert, die sich ihrerseits potenzieren. Was heißt es, dass Freud der Traumdeutung Junos Sprechakt als Motto beigibt? Was, wenn das Buch der Psychoanalyse eine Verwünschung/eine Verfluchung5 zur [End Page 680] Mitgift hat? Markiert der Fluch als Motto die Traumdeutung selbst als Fluch und Akt der Freisetzung einer entsprechenden Kraft, Eröffnung eines anderen Schauplatzes, der seine furiose Wirksamkeit entfaltet?

Dass mit dem Motto der Traumdeutung die Frage nach dem Fluch in so prominenter Weise auf den Plan tritt, erscheint nicht zufällig. Vielmehr zeichnet die Psychoanalyse eine spezifische Affinitität zum Fluch aus und damit zu einem Performativ, dessen nahezu völliges Fehlen im Kontext der Sprechakttheorie (etwa bei John Austin) bemerkenswert ist, handelt es sich beim Fluch doch zweifellos um eine sprachliche Kraft (force). Es sind literarische Flüche, die Freud wiederholt zitiert—Sophokles’ Ödipus, Goethes Faust, Tassos Tankred (La Gerusalemme liberata)—und anhand derer er die Kraft und Zeitlichkeit des Unbewussten ebenso verhandelt wie Fragen von Transmission, Genealogie und Wiederkehr. Im Kontext einer Konjunktur des Fluches in der Moderne, an der auch Philosophie und Kunst partizipieren,6 stellt Freuds Psychoanalyse—so soll im Folgenden gezeigt werden—einen maßgeblichen Schauplatz der Wiederkehr und Reformulierung des Fluches dar.

Fluchfortzeugung—Mitteilung von Kraft

Kehren wir zum Motto der Traumdeutung zurück. Hören wir den Satz Junos in seinem unmittelbaren Kontext:

[…] ich werde von Aeneas besiegt [vincor ab Aenea]. Wenn aber meine göttliche Macht nicht groß genug ist, sollte ich doch nicht zögern, alles und jedes um Hilfe anzuflehen [implorare]: Kann ich den Himmel nicht [End Page 681] umstimmen, will ich den Acheron in Bewegung setzen [flectere si nequeo superos, Acheronta movebo]. Es wird mir nicht vergönnt sein, sei’s drum, die Troer von der Herrschaft über Latium fernzuhalten, und unverrückbar garantiert das Fatum die Ehe mit Lavinia: Doch hinziehen und verzögern darf ich so große Ereignisse, […] Troianer- und Rutulerblut wird deine Mitgift sein, Jungfrau, und als Brautführerin erwartet dich Bellona.

(Aeneis, VII 309–319)

Junos (wie im übrigen auch Didos) Fluch entspringt der Niederlage (“vincor ab Aenea”) und resultiert aus dem klaren Wissen darum, dass sich nichts an dem vom Fatum besiegelten Ausgang der Geschehnisse ändern lässt. Bereits im ersten Buch der Aeneis hat Jupiter den für Aeneas glücklichen Ausgang vorweggenommen (Aeneis, I 257–296). Es ist m.a.W. eine Position der Ohnmacht—ohne Unterstützung der Götter und gegen das Fatum—aus der der Furor ergeht und sich als rein zerstörerische, negative Kraft entfaltet.

‘Wenn ich die Bewohner der Oberwelt nicht beugen kann, werde ich den Acheron bewegen.’ Zumeist metonymisch gelesen—mit Blick auf die Furie Allecto oder die Unterwelt im allgemeinen—, weist Jean Starobinski auf die Möglichkeit einer buchstäblichen Lektüre von ‘Acheronta movebo’ hin: “‘I shall lift up the Acheron’ […]. The ‘literal’ sense must also be taken into account, the act of moving must be understood to mean moving the mythic river itself, in its entirety. Juno subverts the very...

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