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Reviewed by:
  • Mit einer Art von Wut: Goethe in der Revolution by Gustav Seibt
  • Waltraud Maierhofer
Gustav Seibt, Mit einer Art von Wut: Goethe in der Revolution. Munich: C. H. Beck Verlag, 2014. 248 S. + 44 Abbildungen.

Seibt, Historiker und Feuilletonist überregionaler deutscher Zeitungen, als Goethe-Kenner bereits ausgewiesen durch seine Studie zu Goethes Begegnung mit Napoleon, konzentriert sich hier auf Goethes konkrete Erfahrungen in den beiden Jahren, in denen er mit Herzog Carl August in den Krieg gegen die Folgen und Ausbreitung der Französischen Revolution ziehen musste, nach Frankreich 1792 und im folgenden Jahr zur Belagerung der Stadt Mainz, in der französische Besatzer eine—kurzlebige—Republik gegründet hatten. Insbesondere in den letzten Tagen der Republik, vom 20. bis 28. Juli 1793 erlebt Goethe die exportierte [End Page 284] Revolution und ihre Folgen als abschreckende, zerstörerische, lebensbedrohliche Verkettung von Gewalt und Gegengewalt. Seibt zieht neben Goethes Aussagen zum Teil unpublizierte Dokumente von Zeitgenossen heran; er hat genauestens recherchiert und belegt und schreibt dennoch anschaulich.

In der Deutung jener Szene in den autobiografischen Schriften, die der Belagerung von Mainz gilt, und die Goethe mit dem vielzitierten Kommentar versah, er wolle “lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen,” kulminiert die Studie. Eine Rotte wütender Menschen will einen “Clubbisten,” einen Kollaborateur der französischen Revolutionäre und Besatzer, verprügeln oder Schlimmeres. Goethe tritt, sein eigenes Leben gefährdend, kurzerhand dazwischen und gebietet der Gewalt erfolgreich Einhalt. Seibt sieht darin eine “exemplarische Erzählung” über die konkreten Umstände hinaus und jenseits von persönlichen Sympathien, nämlich “von der menschlichen Verantwortung” (153), und er betont ihre Aktualität als Beispiel für etwas, “das in Goethes Zeit noch keinen Namen hatte, dessen Bedeutung in modernen Gesellschaften aber seither immer sichtbarer geworden ist: Zivilcourage” (155). Gleichzeitig deutet Seibt in diesem höchst lesenswerten Buch Goethes Abwehr der Folgen der Revolution, einschließlich Gewalt, Zerstörung, Terror und anderen Formen der “Unordnung,” als symptomatisch für Deutschlands folgenschwere Abkehr von den Idealen der Revolution.

Ein nennenswerter Anhang gibt Dokumente und Texte im Zusammenhang, aus denen der Autor ausführlich zitiert: neben dem Kapitulationskapitel aus Goethes Belagerung von Mainz einen anonymen Bericht in der Hessen-Darmstädtischen Landzeitung vom 27. Juli 1793, einen Brief des Mainzer Anatomen Samuel Thomas Soemmering vom selben Tag, (bisher ungedruckte) Aufzeichnungen zu den Jahren 1792 bis 1794 von Johann Conrad Wagner, der als “Cämmerier” Herzog Carl August auf den Feldzügen von 1792/93 begleitete und dessen Tagebuch Goethe bei seinen fast drei Jahrzehnte später verfassten autobiografischen Kapiteln nutzte; außerdem zum Abzug der französischen Besatzung zwei “Augenzeugenberichte aus Mainz, die in der ersten Augusthälfte 1793 en[t]-standen sind und aus der Feder eilig angereister auswärtiger Schriftsteller stammen” (95), nämlich von dem Hamburger Johann Lorenz Meyer und dem Göttinger Christoph Meiners; ferner die unmittelbar nach den Ereignissen verfasste knappe Darstellung der Mainzer Revolution (1793) von Anton Hoffmann, dem “antirevolutionären Geschichtsschreiber der Mainzer Republik” (97). Die Abbildungen zeigen nicht nur Goethe und zitierte Zeitgenossen, sondern auch Karten und Dokumente und runden die gelungene Darstellung ab.

Waltraud Maierhofer
The University of Iowa
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