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  • Die Magie in der Literatur des Sturm und Drang. Hamann, Herder und Goethe by Sieglinde Schulz
  • Uwe Hentschel
Die Magie in der Literatur des Sturm und Drang. Hamann, Herder und Goethe.
Von Sieglinde Schulz. Marburg: Tectum, 2014. 422 Seiten. €39,95.

Leider bietet diese Arbeit nicht, was sie verspricht. Hätte sich die Autorin in ihrer Göttinger Dissertation aus dem Jahre 2013 darauf beschränkt, den titelgebenden Begriff der Magie, wie er sich in den Werken der Sturm-und-Drang-Autoren Hamann, Herder und Goethe finden lässt, ausführlich zu erläutern, wäre trotz der so zahlreich vorliegenden Erkenntnisse über den in Rede stehenden literaturgeschichtlichen Zeitraum ein originärer Forschungsbeitrag möglich gewesen. Doch der Verfasserin geht es nicht vordergründig um das Mystische und Esoterische in der Literatur des Sturm und Drang, sondern um ein ganzes Paket von Strategien, mit denen sich die Autoren von ihren Zeitgenossen, den Aufklärern, abzugrenzen versuchten.

In den Forschungen der letzten zwanzig Jahre hat man beobachten können, wie versucht wurde, den Sturm und Drang als Teil der Aufklärung zu profilieren. Die Verfasserin schlägt einen ganz anderen Weg ein: Sie arbeitet – ganz so wie in der Geistesgeschichte zu Beginn des letzten Jahrhunderts – das Gegensätzliche beider Strömungen heraus: hier Gefühl, Emphase, Kreativität, dort Naturnachahmung, Rationalität und Klassizismus.

In Anlehnung an Bourdieus Theorie vom literarischen Feld werden die Positionskämpfe der Genie-Generation untersucht, deren Selbstbehauptung im System und mithin die Abgrenzung von ihren Gegnern. Diese Auseinandersetzungen hat es gegeben; sie sind größtenteils bereits aufgearbeitet. Was die Autorin nun insbesondere interessiert, ist das Dreigestirn Hamann, Herder und Goethe, sind deren „literarische Strategien“ (7). Es soll der Nachweis erbracht werden, dass Herder Hamanns Positionen im Kampf mit der Aufklärungsliteratur und Goethe wiederum die seiner beiden Vorgänger weitestgehend übernommen hat.

Angesichts der Vielzahl der Primärtexte, die sich für eine Auswertung anbieten, und der Fülle vorhandener Forschungsarbeiten kommen dem Leser bereits bei der Lektüre der Einleitung Zweifel, ob dieses Ziel überhaupt zu erreichen ist. Und diese verstärken sich noch, wenn er erfährt, welche Texte die Untersuchungsgrundlage bilden sollen. Ist es bei Hamann vor allem die Aesthetica in nuce, die ausgewertet wird, so sind es bei Herder die frühen literaturkritischen Schriften und das Gedicht “Der Genius der Zukunft.” Bei Goethe konzentriert sich die Autorin auf das “Mailied,” “Wanderers Sturmlied” und “Mahomets Gesang.” Leider wird diese Auswahl nicht näher begründet. Für die Verfasserin, so erfährt man, sind es allesamt „metapoetische“ Texte, die den poesiegeschichtlichen Standort der drei Dichter offenzulegen vermögen und zudem – was noch entscheidender ist – in Abgrenzung von der Aufklärungsliteratur verfasst worden sein sollen. [End Page 286]

Wundert man sich angesichts der hochgesteckten Zielsetzung über die Begrenzung des Quellenmaterials und erscheint auch dessen Auswahl zumindest diskutabel, so verlangt auch die Art und Weise seiner Auswertung einen weiteren kritischen Einspruch. Erfährt doch nicht ein Text eine vollständige, einlässliche Interpretation, die seiner je eigenen Besonderheit Rechnung tragen würde; einzelne Textbestandteile werden extrahiert, um jeweils die „Herabsetzungsstrategien“ (377) ausweisen zu können, mit denen sich die Autoren von ihren aufklärerischen Vorläufern abheben und gegen die Zeitgenossen durchsetzen wollten. Alles, nicht zuletzt die eklektisch einbezogene Forschungsliteratur, wird aufgeboten, um das die gesamte Arbeit bestimmende Oppositionsschema, rationale Aufklärung versus emphatischer Sturm und Drang‘ aufrecht zu erhalten, eine Ansicht, die den realen literaturgeschichtlichen Verhältnissen nicht gerecht wird, wie allein schon die Begeisterung der Göttinger Hainbündler für Klopstock beweist. Und so wird auch – unzulässig vereinfachend – die Literatur zwischen Gottsched und Wieland als ein erratischer Block behandelt, der unisono Ablehnung erfahren hat. Da wird „Wanderers Sturmlied“ u.a. zu einem Gedicht, in dem sein Autor die Auseinandersetzung mit Gottscheds und Gleims Dichtungsverständnis sucht, als wären diese und andere Autoren der Frühaufklärung (Bodmer, Breitinger, die frühen Anakreontiker usw.) zu Beginn der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts noch satisfaktionsfähige Konkurrenten, die die Meinungsbildung in der Literaturgesellschaft uneingeschränkt bestimmten. Aussagen wie „Herder [ . . . ] sieht Gottscheds normative Regelpoetik für die Verbesserung der zeitgenössischen Dichtung als überholt an“ (239) sind zu lapidar, um...

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