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  • Hitzig und Berlin. Zur Organisation von Literatur (1800–1840) von Anna Busch
  • Roman Lach
Hitzig und Berlin. Zur Organisation von Literatur (1800–1840).
Von Anna Busch. Hannover: Wehrhahn, 2014. 392 Seiten. €48,00.

Nachdem die bisher einzige Monographie zum Wirken des Juristen, Verlegers, Biografen und literarischen Netzwerkers im Berlin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Nikolaus Dorschs Julius Eduard Hitzig. Literarisches Patriarchat und bürgerliche Karriere. Eine dokumentarische Biographie zwischen Literatur, Buchhandel und Gericht der Jahre 1780–1815 (Frankfurt am Main: Peter Lang, 1994), kaum auf die gewünschte „wissenschaftliche Neugier“ (Dorsch 24, nach Busch 14) gestoßen sei, unternimmt Anna Busch den glücklichen Versuch, über Dorschs auf die Jahre bis 1815 beschränkte Untersuchung hinaus ein von einer unglaublichen Fülle von un-veröffentlichtem Archivmaterial gestütztes komplexes Porträt dieses „interessantesten und vielseitigsten Grenzgänger[s] im kulturell lebhaften Berlin des beginnenden 19. Jahrhunderts“ (13) vorzustellen und einen „Einblick in vielfältige Berliner Kommunikationszusammenhänge“ (348) zu liefern, wie es ihn zuvor nicht gegeben hat.

Julius Eduard Hitzig, als Isaac Elias Itzig 1780 in Berlin geboren, mit 19 Jahren zum Christentum konvertiert, die Assimilation 1808 durch eine Namensänderung von Itzig in Hitzig weiter vorantreibend, wird in Buschs Darstellung erstmals in seiner weitverzweigten Tätigkeit über den gesamten wirksamen Teil seines Lebens hinweg dargestellt. Wie sein Freund E.T.A. Hoffmann wirkte er als Jurist in Warschau und am Kammergericht in Berlin, das, wie Gymnasialprofessor Wilibald Schmidt in Fontanes Frau Jenny Treibel sagt, ja „immer literarisch“ war (vgl. Busch 134), betrieb, während der napoleonischen Besatzung – ebenfalls wie sein Freund – entlassen, eine Buchhandlung mit Verlag, die das akademische und literarische Leben Berlins entscheidend vorantrieben und gründete mit Heinrich von Kleist die berühmten Berliner Abendblätter (1810/11). Auch nach seiner Rückkehr ans Kammergericht nach 1814 gehörte er als Publizist und gesellschaftliche Instanz zu den prägenden Gestalten des intellektuellen Berlin.

Auf vier großen Gebieten stellt Anna Busch in ihrer im Rahmen des Forschungsprojekts der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften „Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800“ erschienenen Dissertation Hitzig in seinem Wirken im Berliner Kulturleben dar: 1) als Buchhändler, Verleger und Herausgeber literarischer Zeitschriften, der der Berliner Romantik in den zwischen 1811 und 1814 erscheinenden Zeitschriften Die Musen und Die Jahreszeiten für kurze Zeit ein Forum gab; 2) als Biograph und Schöpfer einer neuen Form der prismatischen Biographie, die er aus Briefen und Lebenszeugnissen seiner Freunde E.T.A. Hoffmann, Adelbert von Chamisso und anderer zusammentrug; 3) als Gründer und Organisator der für das Berliner kulturelle Leben eminent wichtigen, dezidiert kosmopolitisch [End Page 129] ausgerichteten „Literarischen Mittwochsgesellschaft“; und 4) als Gründer und Autor kriminalistischer Zeitschriften, die sowohl in rechtsgeschichtlicher Hinsicht wie für das Aufkommen eines kriminologischen Paradigmas in der Literatur entscheidend waren. Darüber hinaus war er in seiner Tätigkeit als Jurist auch Vordenker eines modernen Urheberrechts.

Auf allen Feldern zeigt die Autorin Hitzig überzeugend als „Networker“, der—aus einer Mischung aus publizistischer Regsamkeit, organisatorischer Begabung und einer auf alle Bereiche des Lebens sich erstreckenden Aufmerksamkeit—Literatur ganz im Sinne des späten E.T.A. Hoffmann als eine der Beobachtung des Alltags, dem Alltäglichen zugewandte, gesellige und Gesellschaft stiftende Kunst begreift, dabei aber zugleich auf der Autonomie der Literatur beharrt und gegenüber der „Tendenz“ des Jungen Deutschland ablehnend bleibt.

Dass sie Hitzig dabei vornehmlich als konservativen Idealisten kategorisieren will, lässt dessen Rolle im literarischen und politischen Diskurs seiner Zeit etwas einseitig im schon nach Hitzigs Tod gängigen Klischee eines „letzten der Serapions-brüder“ (348) erscheinen, der sich, auf Romantik und Goethe-Kult beharrend, einer Erneuerung der deutschen Literatur in den Weg stellt. Das mag auch an einer gewissen Oberflächlichkeit liegen, mit der die Autorin die Zeit der Reformen zwischen Befreiungskriegen und Vormärz vornehmlich als Zeit der nationalen Selbstfindung kategorisiert und dabei die zahlreich ausgefochtenen Gegensätze nicht thematisiert, etwa zwischen Stein’scher nationaler und Hardenberg’scher liberaler Ökonomie, Carl Maria von Webers deutscher Nationaloper als erweitertem Singspiel und E.T.A. Hoffmanns später Skepsis gegen diese aus kosmopolitischer Einsicht (vgl. Carl Dahlhaus/ Norbert Miller: Europäische Romantik in der Musik, Bd...

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