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  • Leben die Bilder bald? Ästhetische Konzepte bildlicher Lebendigkeit in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts von Peter Brandes
  • Rüdiger Singer
Leben die Bilder bald? Ästhetische Konzepte bildlicher Lebendigkeit in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts.
Von Peter Brandes. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2013. 362 Seiten + 8 s/w Abbildungen. €48,00.

Wer oder was erweckt eigentlich im zehnten Buch von Ovids „Metamorphosen“ eine weibliche Elfenbeinstatue zum Leben? Ist es die „glückliche Kunst“ (V. 247) des Bildhauers Pygmalion? Dann würde er nicht nur wie der legendäre Parrhasios einen Künstlerkollegen durch einen gemalten Vorhang täuschen, sondern sogar sich selbst. Oder ist es Pygmalions erotisches Begehren, geweckt durch den Anblick der Statue (V. 253f.)? Dann wäre er ein Vorbote jener pygmalionischen Kunstrezeption, die im 18. Jahrhundert vor allem Winckelmann zelebrierte. Oder ist es doch das Eingreifen der Göttin Venus (V. 276ff.)? Dann ließe sich die Geschichte als Allegorie einer bildmagischen Sehnsucht lesen, die (wie u.a. Hans Belting gezeigt hat) von Beginn an zum Bildermachen gehörte und bis heute weiterlebt.

Peter Brandes weist in seiner Habilitationsschrift neben diesen Möglichkeiten noch auf eine weitere hin: Die Statue wird durch „die bildmagische Kraft des poetischen Gesangs“ belebt (54) - denn Ovid lässt den Pygmalion-Mythos erzählen, und zwar durch keinen Geringeren als den Sänger Orpheus. Diese Argumentation bedeutet freilich einen doppelten Sprung: erzähltechnisch gesehen von der Binnenerzählung zum Binnenerzähler und intermedial gesehen von der Bildenden Kunst zur Poesie. Den zweiten Sprung vollzieht auch der Titel dieser Studie, allerdings in umgekehrter Richtung: „Leben die Bücher bald?“ fragt Hölderlin eigentlich in seiner Ode „An die Deutschen“ und hofft damit, wie Brandes formuliert, auf „[d]ie Tat, die den Gedanken entspringt“ (9). Brandes dagegen widmet sich „einem ästhetisch und poetologisch relevanten Dispositiv für die literarische Kultur des 18. und 19. Jahrhunderts“, für das alle an Ovids Erzählung ablesbaren Aspekte von ,Belebung‘ einschlägig sind: „Bildliche Lebendigkeit ist im literarischen Diskurs immer zugleich buchstäblich und rhetorisch zu verstehen. Das ästhetische Bild in der Literatur oszilliert zum einen zwischen der ästhetischen Bedeutung einer gelungenen Nachahmung und der phantastischen Vorstellung ,echter‘ Lebendigkeit, zum anderen zwischen allegorischer Form und narrativem Gehalt“ (10). Damit aber geht es letztlich doch wieder um Literatur: „Die bildliche Lebendigkeit figuriert, wie noch zu zeigen sein wird, in der Literatur als Medium der Selbstreflexion der Literatur im Spiegel der Bildkünste“ (11).

Eindrucksvoll belegt wird diese These vor allem im dritten Teil der Studie, welcher der narrativierten „Poetik des lebendigen Bildes“ bei Wackenroder, E.T.A. Hoffmann, Eichendorff, Heine, Balzac und Poe nachspürt. So liest Brandes die Phantasie von „Raphaels Erscheinung“ eines Marien(vor-)bildes auf der Leinwand aus den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders weniger als kunstreligiöse Heiligenlegende denn als Antwort auf Ovid: „Pygmalion wird zwar im Unterschied zu Raphael explizit als Schöpfer seines Bildes erkennbar, doch auch sein Bild wird erst - unter göttlicher Mithilfe - durch ein inneres Bild hervorgebracht. Denn wie Pygmalion wendet sich Wackenroders Raphael von den realen Frauengestalten ab“ (157) - und wie Ovid bringt Wackenroder seine Geschichte mit Hilfe einer narrativen Rahmenkonstruktion hervor, die Brandes minutiös aufschlüsselt. Damit aber geht es bei Wackenroder - und nicht weniger raffiniert bei den im Anschluss behandelten [End Page 125] Autoren – um die Umsetzung ,innerer Bilder‘ in Literatur, veranschaulicht durch ,lebendige‘ Gemälde oder Statuen.

Allerdings: Von Pygmalion bis zu Wackenroder bzw. von der Entfaltung des Konzepts „Bildlicher Lebendigkeit“ im ersten Teil bis zu narrativierten „Poetik[en] des lebendigen Bildes“ im dritten ist es ein weiter Weg. Der zweite Teil widmet sich nämlich dem „Laokoon-Diskurs“ bei Winckelmann, Lessing, Schiller und Goethe, hat also wiederum mit einer berühmten Statue zu tun – aber nicht allzuviel mit deren Lebendigwerden. Lediglich in Goethes „Laokoon“-Aufsatz wird die Statue in sehr konkreter Weise verlebendigt, und zwar vom Betrachter: „Um die Intention des Laokoons recht zu fassen, stelle man sich in gehöriger Entfernung, mit geschlossnen Augen, davor, man öffne sie und schließe sie zugleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe...

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