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  • Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums by By Jörg Lauster
  • Michael Borgolte
Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums. By Jörg Lauster. Munich: C.H. Beck, 2014. Pp. 734. Cloth €34.95. ISBN 978-3406666643.

Der Autor will die bekannte These von Max Weber (1917) widerlegen, nach der die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung den Glauben an prinzipiell geheimnisvolle Mächte zerstöre. Das zeige die Kulturgeschichte des Christentums: “Kultur verarbeitet und artikuliert über ihr zivilisatorisches Fundament hinaus einen mit keiner Funktion verrechenbaren Überschuss im Welterleben, sie repräsentiert ein Weltgefühl, das mehr ist als das Sich-Einrichten in dieser Welt. Das Christentum ist die Sprache eines Weltgefühls, das den Überschuss als das Aufleuchten göttlicher Gegenwart in der Welt versteht, es ist daher die Sprache einer kontinuierlichen Verzauberung der Welt. Diese Verzauberung endet in der Moderne nicht, sie nimmt andere Formen an” (13). So habe der Christusglaube beim romantischen Dichter Novalis “die einseitige Rationalisierung als Entzauberung und Entleerung” der Welt aufgehoben und “wahre Humanität” geschaffen (475): “Er wagte sich an die Christuserfahrung als Zentrum der christlichen Religion heran, indem er die Leistungskraft der Poesie nutzte. Andeutend, eröffnend, changierend und geheimnisvoll fasste er die Erfahrung der Transzendenz in Worte, die nicht mehr sagen sollten, als sie konnten” (476).

Diese wenigen, aber charakteristischen Zitate aus dem opulenten Werk genügen, um zu belegen, dass es sich eher um die Bekenntnisschrift eines Theologen als um ein wissenschaftliches Werk handelt. Damit soll selbstverständlich nicht bestritten werden, dass religiöse Erfahrungen der beschriebenen Art ebenso real wie unfassbar sind, nur dass sie eben als Unsagbares sich der intersubjektiven Analyse auch entziehen. Mit Lauster, dem Professor aus Marburg, mag man glauben, dass in den Plastiken und Fresken Michelangelos, den Kompositionen Mozarts oder auch Kulturphänomenen des 19. und 20. Jahrhunderts “eine Sehnsucht nach Ewigkeit und Transzendenz durchschimmert” (602), doch kann man die Werke auch bewundern und genießen, ohne dem Unerklärlichen des Genies beikommen zu wollen.

Die wissenschaftlichen Mängel des Buches sind indessen unübersehbar. Lauster will “die Kulturgeschichte des Christentums” als “Erzählung unserer Herkunft” bieten (13) und beginnt mit der Person Jesu selbst, um in der Gegenwart zu enden. Nirgendwo gibt er jedoch Rechenschaft darüber, wer eigentlich “wir” sind oder sein sollten. Offensichtlich meint er die westliche Christenheit, und zwar ohne als [End Page 157] protestantischer Religionsphilosoph dabei zwischen den Konfessionen prinzipiell wertend zu unterscheiden. Aber weiß er denn nicht, dass sich eine solche Christenheit gar nicht mehr abgrenzen lässt, sondern in seinem Heimatland ebenso wie anderswo Zuwanderer anderen Glaubens die Gesellschaft längst multireligiös transformieren? Hat er sich denn nie gefragt, ob “wir” mit “den Anderen” gut zusammenleben können, wenn wir uns auf eine exklusive Vergangenheit berufen? Und ob es “reine” Traditionen dieser Art überhaupt geben kann? Als Kultur lässt der Autor auch nur Erzeugnisse der hohen Kunst und Wissenschaft gelten, aber keine Artefakte des Alltags, keine Lebensformen und Sinndeutungen der weniger Gebildeten oder Ungelehrten. In diesem Sinne ist bezeichnend, wie er den Barock charakterisiert: Keine andere Epoche habe das Kulturleben so umfassend, tiefgreifend und breitenwirksam christlich bestimmt, indem sie wie der Barock über Kirchenbau hinaus Malerei, Musik, Dichtung und Theater in ihren religiösen Dienst nahm (371). Gottes Wirken in der Geschichte vermag Lauster mit seinem reduktionistischen Kulturbegriff nur in Hervorbringungen der Eliten zu erkennen. Sein Buch ist mit dem Baukasten der Hochkultur geschaffen, es arbeitet den Kanon des herkömmlichen deutschen Bildungsbürgertums ab. Kein Wunder, dass ein solches Werk keinen einzigen überraschenden Gedanken bietet und mit seinem Rekurs auf allzu Bekanntes auch nirgendwo zu einer eigenen, neuen Sprache findet.

Über weite Strecken ermüdet es, weil Lauster gerecht werden will, was er seiner konventionell angelegten Kulturgeschichte schuldig zu sein glaubt; der kundige Leser erkennt manchmal schnell, welchem Handbuch oder Standardwerk er für das jeweilige Thema folgt, und mit ermüdender Monotonie setzt er bei neuen Künstlern oder Autoren mit einer biographischen Skizze ein, die an die Exzerpte von Lexikonartikeln erinnert. In seinem Bemühen, an den Produkten der Meister die durchscheinende Gotteserfahrung aufzuweisen, verliert Lauster aber mehr und mehr das spezifisch Christliche aus den Augen. Am Ende—das hei...

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