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  • Romanisches Erzählen. Peter Handke und die epische Tradition by Von Thorsten Carstensen
  • Katharina Pektor
Romanisches Erzählen. Peter Handke und die epische Tradition.
Von Thorsten Carstensen. Göttingen: Wallstein, 2013. 398 Seiten + 13 s/w Abbildungen. €29,90.

Thorsten Carstensens Studie Romanisches Erzählen untersucht die Poetik von Peter Handkes Spätwerk. Sein Vorhaben ist ambitioniert, denn Handkes Werk ist nicht nur äußerst umfangreich, sondern durch sich bedingende und in immer neuen Variationen und Widersprüchen fortspinnende philosophisch-poetologische Reflexionen, Motive und Bilder zudem in sich dicht verwoben. Die Konstanten und Brüche dieser anspruchsvollen Poetik, beispielsweise die immer neuen Formfindungen Handkes, sind Ergebnis eines schon in den sechziger Jahren vom Autor präzise formulierten und bis heute für ihn gültigen Übungsprogramms, das mit seinen ästhetischen wie auch ethisch-politischen Anliegen sozusagen zweistrahlig betrieben wird. Das Ziel ist aufmerksamer und bewusster zu werden sowie andere aufmerksam und bewusst zu machen (120).

Carstensens vielversprechende These bezieht sich auf Handkes seit den späten achtziger / frühen neunziger Jahren geschriebene Prosa, in welcher er von den Formen der Romanik beeinflusst ist. Aufmerksam darauf wurde Carstensen durch seine Lektüre des Journals Gestern unterwegs, in dem zahlreiche, während Handkes Weltreise von 1987 bis 1990 aufgezeichnete Beschreibungen und Studien romanischer Sakralbauten und ihrer Bildprogramme zu finden sind. Die Notizen lassen erkennen, dass Handke in dieser auf ihn kindlich (161) und dörflich (155) wirkenden Kunst und Architektur seine ästhetischen und ethischen Anliegen vorgeformt fand und im Zuge dieser Formstudien versuchte, sein eigenes Schreiben zu bestimmen. Handkes interessantes Projekt, bei dem man sich von ferne an Walter Benjamins Abbildung von Formen der Architektur in der Literatur im Passagenwerk erinnert fühlen darf, blieb von der Forschung bisher unbeachtet. Carstensen bemerkte als erster, dass Handke mit der Übertragung der romanisch-vormodernen Ästhetik in sein ,,poststrukturalistisch“-modernes Schreibprogramm zu einer neuen epischen Erzählform gefunden hat, die Carstensen seiner These gemäß ,,romanisches Erzählen“ nennt. Die Formen dieses romanischen Erzählens sind Gegenstand seiner Untersuchung.

Die ,,doppelte Herausforderung“ (16) dieser Unternehmung besteht nun darin, erstens die miteinander verwobenen Elemente von Handkes Poetik zu ,,isolieren“, um ihre Entwicklung und ihren Einsatz im romanischen Erzählen zu zeigen, sowie zweitens einen Standpunkt außerhalb des ,,Dickichts“ (16) Handke’scher Begriffe zu bewahren. Die dafür notwendige fundierte Kenntnis von Handkes Werk, vor allem auch der Journale, sowie der umfangreichen Sekundärliteratur bringt Carstensen zweifellos mit. Seine Abhandlung gliedert er in zehn Kapitel. Die Einleitung zur Studie fächert die wesentlichen poetischen Elemente des sprachkritischen Frühwerks der sechziger und siebziger Jahre, der ,,klassischen“ Werke der späten siebziger und achtziger Jahre sowie des romanischen Spätwerks ab den neunziger Jahren überblicksartig auf. Dadurch [End Page 712] markiert Carstensen bereits eingangs in groben Zügen Kontinuitäten und Entwicklungen in Handkes Arbeiten.

Während sich die ersten fünf Kapitel mit Handkes poetischen Theorien und Formen bis zum romanischen Erzählen beschäftigen, haben die letzten fünf Kapitel die praktische Umsetzung dieser Formen in den Werken Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus (1997), Der Bildverlust (2002), Don Juan (erzählt von ihm selbst) (2004) und Die morawische Nacht (2008) zum Gegenstand. Den Schluss bildet ein Epilog, in dem Carstensen auf Handkes Übungsprogramm zurückkommt: Er weist auf das bei Handke wiederholt vorkommende Motiv der ,,Einsamkeit“ der Figuren und ihre Sehnsucht nach Gemeinschaft hin (196), in welchem Carstensen einen realistischen Kern sehen möchte – den Preis, welchen der Autor für sein genialisches Schreibprojekt zu zahlen hat.

Vorbereitet wurde das romanische Erzählen schon Ende der siebziger Jahre mit der krisenbegleiteten poetischen Neuausrichtung Handkes in der Tetralogie Langsame Heimkehr, welche nicht nur eine Besinnung auf die eigene Biografie und Herkunft mit sich brachte, sondern vor allem eine die Bedingungen des modernen Schreibens reflektierende, dialektisch abgesicherte Rückwendung zur Tradition des Klassischen und ihren mittels Naturbetrachtung gewonnenen Maximen des Schönen, Wahren und Guten. Beides wurde von Handke verbunden in einer im Wahrnehmen und Erzählen auf die Gegenwart konzentrierten und zugleich mittels Form- und Bildanalogien das Gefühl von Dauer und Zusammenhang evozierenden ,,Poetik des Wiederholens“. Diese erste Wende zum klassischen Erzählen...

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