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  • Der produktive Kosmos der Gina Kaus. Schriftstellerin – Pädagogin – Revolutionärin by Von Veronika Hofeneder, and: Berlin Coquette: Prostitution and the New German Woman, 1890–1933 by Jill Suzanne Smith
  • Erhard Schütz
Der produktive Kosmos der Gina Kaus. Schriftstellerin – Pädagogin – Revolutionärin.
Von Veronika Hofeneder. Hildesheim: Olms, 2013. 331 Seiten. €38,00.
Berlin Coquette: Prostitution and the New German Woman, 1890–1933.
By Jill Suzanne Smith. Ithaca, NY: Cornell University Press, 2013. xii + 221 pages + 14 b/w illustrations. $27.95.

Die Konkurrenz der Verlage, gerade auch der kleinen, konzernunabhängigen Verlage, hat in den letzten Jahren eine ständig wachsende Zahl an Wiederentdeckungen und Neuauflagen insbesondere von Texten aus der Zeit der Weimarer Republik hervorgebracht. Hin und wieder kommt es vor, dass zwei Verlage gleichzeitig mit einem solchen Text aufwarten, wie etwa jüngst im Falle von Andreas Latzko geschehen. Dessen Novellensammlung von 1918, Menschen im Krieg, in viele Sprachen übersetzt und bis zum Erscheinen von Remarques Im Westen nichts Neues der international erfolgreichste deutsche Beitrag zur pazifistischen Literatur, ist 2014 sowohl im Elektrischen Verlag (Berlin) als auch im Milena Verlag (Wien) neu herausgekommen. Selten sind die Wiederentdeckungen so erfolgreich wie die von Ernst Haffners Jugend auf der Landstraße Berlin, 1932 herausgekommen und eine sehr eindringliche Studie [End Page 684] über Straßenjungen in Berlin zwischen Diebstahl und Prostitution. 2013 unter dem reißerischen Titel Blutsbrüder erstmals wieder aufgelegt, war das Buch ein erstaunlicher buchhändlerischer Erfolg. Die Übersetzung ins Englische liegt seit März 2015 in der Other Press vor (Blood Brothers). Besonders rührig sind indes Verlage, die sich der Wiederentdeckung von Autorinnen verschrieben haben. So etwa der Aviva Verlag in Berlin, der zuletzt die jüdische, 1904 in Wien geborene und später in Berlin lebende Lili Grün, die 1942 in einem weißrussischen Vernichtungslager umkam, in Erinnerung brachte. Von ihr liegen inzwischen zwei Romane und ein Band mit Gedichten und Geschichten vor. Ebenso von der Literaturwissenschaft entdeckt zu werden, steht ihr allerdings noch bevor.

Das ist im Falle von Gina Kaus anders. Die neben Vicki Baum wohl – auch international – populärste Autorin jener Jahre, 1893 in Wien geboren, 1995 in Los Angeles gestorben, ist nie gänzlich vergessen gewesen. Nahezu alle ihrer zahlreichen Werke wurden seit den 1950er Jahren immer mal wieder, z. T. mehrfach aufgelegt, wie Veronika Hofeneder in der akribischen Bibliographie ihrer Monographie nachweist. Zurzeit sind z. B. noch ein Sammelband mit Kleiner Prosa (Heute wie gestern, Hildesheim 2013) und der Roman Morgen um Neun (Hildesheim 2008), 1932 zuerst erschienen, lieferbar. Seit den 1990er Jahren spätestens findet man zahlreiche literaturwissenschaftliche oder feministisch interessierte Beiträge zu ihr und ihrem Werk. Was einerseits das Interesse an ihr beförderte, hat andererseits wohl umfassende monographische Auseinandersetzungen mit Leben und Werk verhindert: die breite Fächerung sowohl ihrer Interessen zwischen Literatur, Pädagogik und Psychologie als auch der Genres, derer sie sich bediente, Dramen und Romane, Kurzgeschichten, Feuilletons, Essays, Rezensionen etc., ebenso wie die ihrer – meist prominenten – Liebschaften. Nie so ganz konnte sie neben dem Ruf libidinöser Unstete den ästhetischer Untiefen ablegen; letzteres nicht gänzlich, aber doch für viele ihrer Werke zu Unrecht. Reizvoll ist für heute ihr Werk vor allem in der dichten Vielfalt seiner Aspekte, die sich aus einem beherzten Interesse an den unterschiedlichsten Phänomenen jener Zeit herleitete. Sie hat sich mit den finanziellen und wirtschaftlichen Folgen der Inflation ebenso befasst wie mit dem seinerzeit im Einklang damit beklagten ,Verfall moralischer Werte‘ und vor allem, nicht zuletzt damit zusammenhängend, mit den gewandelten Geschlechterschemata und -beziehungen. Zentral war dabei ihr Interesse an Fragestellungen, die sich aus der produktiven Auseinandersetzung mit der Individualpsychologie Alfred Adlers ergaben. Dass sie dabei keineswegs literarisch naiv drauflosschrieb, belegen nicht zuletzt ihre poetologischen Überlegungen, die im Rahmen der Neuen Sachlichkeit durchaus ein eigenständiges Profil ausbildeten.

Veronika Hofeneder hat denn auch ihre Monographie, die sie nicht zu Unrecht als die erste wissenschaftliche rühmen kann, die nun jenseits von universitären Qualifikationsarbeiten vorliegt, betitelt: Der produktive Kosmos der Gina Kaus. Diese sowohl quantitativ wie qualitativ ungemeine Produktivität verdankte sich, legt Hofeneder dar, vorrangig der Notwendigkeit der Existenzsicherung für sich und ihre Kinder, schon deshalb, weil...

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