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  • Die Räume der Literatur. Exemplarische Zugänge zu Kafkas Erzählung “Der Bau.” ed. by Dorit Müller and Julia Weber
  • Susanne Hochreiter
Dorit Müller and Julia Weber, eds., Die Räume der Literatur. Exemplarische Zugänge zu Kafkas Erzählung “Der Bau.”. Berlin: de Gruyter, 2013. 295 S.

Das Konzept des vorliegenden Sammelbandes, den Dorit Müller und Julia Weber herausgegeben haben, ist so klar wie überzeugend: Anhand eines Textes—nämlichKafkas Erzählung Der Bau—werden verschiedene theoretische Zugänge zum literarischen Raum und seinen möglichen Dimensionen exemplarisch dargestellt. Damit wird dem Bedürfnis nach einer systematischen [End Page 143] Orientierung über verschiedene raumtheoretische Ansätze entspro-chen, aber auch deutlich gemacht, dass und wie literarische Raumkonstruktionen wirksam werden und welchen Beitrag diese Auseinandersetzung auch über die germanistischen Fachgrenzen hinaus zu leisten imstande ist. Schließlich bieten die hier versammelten Beiträge, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, neue Einsichten für die Erforschung von Kafk as Erzählwerk.

Mit dem so genannten spatial turn sind zahlreiche Arbeiten zum literarischen Raum und seinen Dimensionen als Handlungsraum, als meta-phorischer Raum, aber auch hinsichtlich dessen poetologischen, epistemologischen oder affektiven Funktionen erschienen. Eine übergreifende methodologische Diskussion fehlt bislang, wie die Herausgeberinnen zu Recht konstatieren. In ihrer Einleitung gehen Müller und Weber auf die Entwicklung der (literaturwissenschaftlichen) Raumdiskussion ein und stellen bereits damit eine erste Orientierung, die auch für Studierende hilfreich ist, zur Verfügung.

Kafk as Erzählung Der Bau, postum 1928 veröffentlicht, eignet sich aus Sicht der Herausgeberinnen als Text in besonderer Weise für unterschiedlichste Analysewege, nicht nur weil Raum explizit Thema ist, sondern weil er verschiedenste Aspekte und Dimensionen literarischer Räumlichkeit beinhaltet, Denkwege eröffnet und zugleich in seinen Deutungsmöglichkeiten offen bleibt.

Die in diesem Band vertretenen theoretischen und methodischen Zugänge reichen von wissenstheoretischen Ansätzen über Konzepte einer Architektur des Bewusstseins sowie syntaktische Verfahren und systemtheoretischen Reflexionen bis hin zu kybernetischen Bezügen und der Analyse von Raum-Zeit-Verhältnissen. Insgesamt sind es sorgfältig verfasste, umsichtig edierte und vor allem analytisch ergiebige Untersuchungen, die nicht nur die Diskussion um Raumkonzepte bereichern, sondern das Potenzial einer kulturwissenschaftlich inspirierten Literaturwissenschaftüberzeugend zur Geltung bringen. Stellvertretend bespreche ich die folgenden drei Aufsätze.

Den Zusammenhang zwischen raumgebenden Verfahren und Wissensorganisation im literarischen Text erörtert Dorit Müller in ihrem Beitrag über Kafk as Bau als literarischer Raum des Wissens. Baukunst, Tierpsychologie, Logistik und militärische Systeme ortet die Autorin als Wissensbereich, die in Kafkas Erzählung einfließen. Müller weist dabei nicht nur Bezüge auf konkrete Wissensbestände der Zeit nach, die sich auch aus Kafk as beruflcher [End Page 144] Tätigkeit bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt speisen, sondern wie diese Wissensbestände letztlich destruiert werden und in jene textuellen Leerstellen münden, die einer Vereindeutigung von Sinn entgegenwirken. Für Müller zeigt sich darin Der Bau als ein “negatives Erkenntnismodell”: Der Text zeichne nicht nur die Hervorbringung von Wissen nach, sondern zeige, dass die Erkenntnissuche ein unabschließbarer Prozess ist, der mit der “Unabschließbarkeit der Erzählung” korrespondiert. (61)

Unter dem Titel “Im Hohlraum”—Kafka als Architekt nimmt Julia Weber das Verhältnis von Raumdarstellung und der Darstellung von Bewusstseinsprozessen in Kafkas Erzählung in den Blick. Ihre Ausgangsthese ist, dass der seit dem 18. Jahrhundert etablierte symbolische Verweisungszusammenhang von Raumbeschreibung und Bewusstseinszuständen in Der Bau “grundlegend qualitativ transformiert” werde. Durch eine “Verschränkung von Raumkonstruktion und Erzählerbewusstsein” wird der Bau zum Abbild gedanklicher und emotionaler Prozesse der Erzählfigur—ein Ausdruck der “inhärenten Räumlichkeit unseres Denkens” (88) und zugleich eine Reflexion der Erzählkonstruktion selbst. Webers Idee, den Hohlraum als “dritten Raum” zu betrachten, erscheint sehr plausibel. Die Aufhebung einer Dichotomie von Innen- und Außenraum erörtert sie im Kontext von Kognitionsmodellen, die Bewusstsein mit sensomotorischen Prozessen verknüpfen: Au-ßenwelt und Wahrnehmung sind darin keine getrennten Phänomene (96). Der viel zitierte “dritte Raum” nach Homi Bhabha ist nicht gemeint—obwohl es hier zweifelsohne Anknüpfungspunkte gibt.

Katrin Dennerleins narratologische Analyse der Erzählung setzt bei einem Close reading an und kommt zu Ergebnissen, die bisherige Deutungen von Der Bau infrage stellen...

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