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  • Literatur und Exil. Neue Perspektiven ed. by Doerte Bischoff und Susanne Komfort-Hein
  • Helga Schreckenberger
Literatur und Exil. Neue Perspektiven. Herausgegeben von Doerte Bischoff und Susanne Komfort-Hein. Berlin, Boston: de Gruyter, 2013. vii + 402 Seiten. €99,95.

Der vorliegende Band reflektiert, wie die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung hervorheben, die zunehmende Hinwendung der Exilforschung zu Fragen nach den transhistorischen und transnationalen Perspektiven des Exils. Ausschlaggebend für den [End Page 512] Perspektivenwechsel ist die Erkenntnis, dass die dem Exil inhärenten Prozesse von Akkulturation, Vernetzungen und kulturellem Transfer eine bruchlose Wiedereingliederung der Exilanten und ihrer Werke in ihre national definierte Ausgangskultur in den meisten Fällen unmöglich machten. Diese Erkenntnis, die sowohl für die deutsche als auch für die internationale Exilforschung gilt, führte zu einer Erweiterung des Exilbegriffs. Indem ,,Exil“ nicht mehr eindimensional auf eine verlorene bzw. verlassene Heimat bezogen wird, ermöglicht der Begriff der Forschung Reflexionen über Transkulturalität, Transnationalität, Diaspora oder andere transnationale Gemeinschaftsmodelle. Die in diesem Band enthaltenen 19 Beiträge illustrieren auf hohem Niveau die Möglichkeiten, die dieser erweiterte Exilbegriff der Exilliteraturforschung eröffnet. Aufgrund der Anzahl der ausgezeichneten Beiträge kann hier nur ein kurzer Überblick über die vielfältigen Themen und Zugänge geboten werden.

Die im ersten Abschnitt unter dem Titel ,,Exil, Migration, Transkulturalität“ zusammengefassten Beiträge befassen sich mit dem Zusammenwirken von Exilerfahrungen, Akkulturation und Kulturtransfer. Claus-Dieter Krohns Beitrag ,,Die Herausforderung der Exilforschung durch die Akkulturations- und Hybriditätstheorie“ erinnert daran, dass die Akkulturationstheorie auf den von deutschen Exilanten mitgestalteten amerikanischen Soziologen-Diskurs der 1930er Jahre zurückzuführen ist und fordert die zukünftige Exilforschung zu einer genaueren, reflektierten Beschäftigung mit den Ursprüngen dieser Konzepte auf. In ,,Transnational, interkulturell und interdisziplinär: Das Akkulturationsparadigma der Exilforschung“ plädiert Sabina Becker sowohl für die Entwickung einer Akkulturationstheorie in Verbindung mit Migrationsforschung als auch für eine Erweiterung des Textkorpus über 1945 hinaus. Auch eine stärkere Einbindung der Exilforschung in die Moderneforschung sieht sie als wünschenswert, da die Erfahrung des Exils als Entwurzelung und Entortung gleichfalls einen Topos der Moderne darstellt. Das Verhältnis von Exil und Migration steht auch im Mittelpunkt von Wolfgang Benz’ Artikel ,,Wann endet das Exil? Migration und Akkulturation“. Seine vergleichende Darstellung der Schicksale gegenwärtig in Deutschland lebender Migranten und aus Nazi-Deutschland vertriebener Juden zeigt verschiedene Rahmenbedingungen für Akkulturation, Assimilation und Integration auf, die eine eindeutige Grenzziehung zwischen Exil und Migration in Frage stellen. Die Beiträge von Stephan Braese und Robert Krause präsentieren Beispiele von transkultureller Öffnung bzw. Verweigerung. Braese stellt Adornos kulturkonservative Ablehnung des amerikanischen Jazz, eines Beispiels für kulturelle Hybrididät schlechthin, der positiven Rezeption durch Alfred Lion gegenüber. Krause zeigt, dass Vilém Flussers kreativem Denken und polyglottem Schreiben die Erfahrungen von Emigration und kultureller Hybrididät zugrunde liegen.

Im zweiten Abschnitt, ,,De-Territorialisierungen“, beschäftigen sich die Beiträge mit Texten, die kulturelle oder nationalsprachliche Grenzen überschreiten und damit national kodierte Räume problematisieren. Dazu gehören die Werke der historischen Figur Flavius Josephus, der, wie Gianluca Solla in seinem Beitrag ,,Es bleibt die Fremdsprache“ aufzeigt, als jüdischer Exilant in Rom Werke über jüdische Geschichte in Griechisch verfasst. Kafkas Amerikaroman Der Verschollene wird von Bernhard Greiner als eine in der jüdischen Tradition verankerte Exilgeschichte gelesen, in der die Spannung Exil–Heimat als scharfe Entgegensetzung von West- und Ostjudentum gestaltet ist. Cordelia Blasberg weist in ihrem Aufsatz ,,,Europa‘ als Kulturraum in Schriften des Exils“ in den ,,zentralen Europa-Schriften“ von Karl [End Page 513] Wolfskehl und den Literaturwissenschaftlern Ernst Robert Curtius und Erich Auerbach eine Weiterführung des vom George-Kreis vertretenen Gedankens einer übernationalen europäischen Identität nach.

Der Beitrag ,,Transterritorial – Translingual – Translokal“ von Alfrun Kliems illustriert spezifisch ästhetische Verfahren von Exil und Migration anhand des ,interexilischen‘ Zusammenspiels zwischen den tschechischen Lyrikern Ivan Blatný und Jiří Gruša. Das Transterritoriale, das Translinguale und das Translokale dieser Texte wird von Kliems gleichzeitig als Bedingung und Resultat von Transkulturalität verstanden. Barbara Thum ortet in ihrem Beitrag ,,Zumutungen, Ent-Ortungen, Grenzen: Ilse Aichingers Poetik des Exils“ eine Exilpoetik, die die Wahrnehmung der eigenen Existenz als Exilierte mit der Zeugenschaft der...

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