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  • Herder und seine Wirkung / Herder and His Impact ed. by Michael Maurer
  • Kaspar Renner
Herder und seine Wirkung / Herder and His Impact. Herausgegeben von Michael Maurer. Heidelberg: Synchron, 2014. 461 Seiten. €45,00.

Auf dem Titelblatt dieses überaus facettenreichen, von Michael Maurer herausgegebenen Konferenzbandes ist die Büste jenes Denkmals abgebildet, das Herder im Jahr 1864 in Riga erbaut wurde, und zwar anlässlich des 100-jährigen Jubiläums seiner Ankunft in der Dünametropole. Die Büste ist mit einem charakteristischen Predigerkragen ausgestattet, der auf die geistlich-gelehrten Ämter verweist, die Herder dort insbesondere als Pastor Adjunctus an den beiden vorstädtischen Gemeinden ab dem Jahr 1767 innehatte. Damit setzt das Rigaer Herder-Denkmal einen etwas anderen Akzent als das Weimarer Herder-Standbild, das bereits im Jahr 1850 auf dem Vorplatz der dortigen Stadtkirche St. Peter und Paul enthüllt wurde. Dieses zeigt Herder, einige Blätter in der Hand tragend, in einem weiten Reisegewand; neben der universalen Gelehrsamkeit des Autors betont das Denkmal also zugleich seinen Weltentdeckungsdrang, der schon früh im Journal meiner Reise im Jahr 1769 zum Ausdruck kommt, jedoch nur teilweise realisiert werden kann, bevor Herder wieder in ein geistliches Amt zurückkehrt, zunächst ab dem Jahr 1771 in Bückeburg, ab dem Jahr 1776 dann als Oberkonsistorialrat, Oberprediger und Generalsuperintendent in Weimar.

An der Geschichte der Herder-Denkmäler wird also besonders sinnfällig, wie orts-, zeit- und kontextabhängig ganz unterschiedliche Facetten eines Herder-Bildes hervortreten können. Dies hat Gerhard Sauder schon in seinem Beitrag Kein Herder-Bild im Konferenzband Der frühe und der späte Herder: Kontinuität und/oder Korrektur aus dem Jahr 2007 herausgestellt. An diese Deutungsperspektive knüpft der vorliegende Band Herder und seine Wirkung an, der auf eine Konferenz der Internationalen Herder-Gesellschaft zurückgeht, die bereits im Jahr 2008 in Jena stattfand. Die 34 Einzelbeiträge werden von einem ,,Überblick und Problemaufriß“ des Herausgebers Michael Maurer eingeleitet (siehe 13–48), der zunächst ein charakteristisches Grundproblem der Herder-Rezeption behandelt: Häufig wird auf Herder referiert, ohne dass seine Texte rezipiert worden wären – und umgekehrt. Herders Wirkung bewegt sich also zwischen den beiden Polen der ,Klassizität‘ und der ,Anonymität‘; hinzu kommt eine hochgradig selektive Wahrnehmung seines Werks; nur selten wird der ganze Herder in den Blick genommen, meist beschränkt man sich auf einen ,Teil-Herder‘ (siehe 14) – schon die erste kritische Gesamtwerkausgabe, die Bernhard Suphan als Hauptherausgeber ab dem Jahr 1877 besorgte, ließ sich nur [End Page 491] arbeitsteilig organisieren, die Vielfalt von Herders Schriften nur unter Beteiligung von klassischen Philologen und Neugermanisten, Theologen, Philosophen und Kunsthistorikern bewältigen.

An dieser Gesamtausgabe lässt sich zugleich zeigen, dass die philologische Erschließung von Herders Werk dessen ideologische Vereinnahmung nicht verhindern konnte – ganz im Gegenteil. Wie Maurer in seinem Problemaufriss sowie seiner abschließenden Perspektivierung zum ,,aktualisierbaren Herder“ ausführt (siehe 413–431), berief man sich schon in den 1860er Jahren, dann vor allem in den 1870er Jahren auf Herder nicht nur als Kronzeugen einer deutschen Kultur-, sondern eben auch einer Staatsnation, die sich mit der Gründung des Kaiserreichs im Jahr 1871 nun endlich verwirklicht habe (siehe 30–32). Nach der deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg avancierte Herder zum Stichwortgeber für das revisionistische Projekt, die Gebietsverluste im Osten wieder rückgängig zu machen (siehe 33). Im sogenannten ,,Dritten Reich“ erwies sich neben dem Nationsbegriff dann Herders Volkskonzept als wichtigster Anknüpfungspunkt für die regimetreue Germanistik. In seinem grundlegenden Beitrag ,,Herder als Opfer völkischer Interpreten“ zeichnet Gerhard Sauder überaus differenziert nach, wie sich derartige Tendenzen auch in Aufsätzen von Germanisten wie Benno von Wiese widerspiegeln, die nach dem zweiten Weltkrieg als ideologisch weitgehend unverdächtig galten (siehe 393–409); so wird in dessen Aufsatz ,,Volkstum und Geschichte bei Herder“ aus dem Jahr 1934 die These entwickelt, dass ,,die Eindeutschung des aufgeklärten Kulturgedankens“ die ,,eigentliche Jahrhundertleistung Herders“ gewesen sei (396). Für einen Teil der Nachkriegsgermanistik war Herder dadurch diskreditiert. Welche konkurrierenden Strategien sich in der Folgezeit in DDR und BRD dennoch entwickelten, um Herder wiederzugewinnen, ihn philologisch zu erschließen, aber auch ideologisch zu vereinnahmen – vor allem in der sogenannten ,,Ostforschung“ –, bis...

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