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  • Kulturmacht ohne Kompass. Deutsche auswärtige Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert by Frank Trommler
  • Jessica C.E. Gienow-Hecht
Kulturmacht ohne Kompass. Deutsche auswärtige Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert. By Frank Trommler. Cologne: Böhlau, 2014. Pp. 732. Cloth €49.90. ISBN 978-3412211196.

“Kulturmacht ohne Kompass” ist ein Magnum Opus. Auf über 700 Seiten analysiert Frank Trommler die Geschichte der deutschen auswärtigen Kulturbeziehungen von der Reichsgründung bis zum Fall der Berliner Mauer. Zentrales Anliegen ist die Beziehung zwischen kulturellem Anspruch und Machtpolitik, die für einen erheblichen Teil des Untersuchungszeitraums die deutsche auswärtige Kulturpolitik zu prägen vermochte. Trommler argumentiert, dass knapp 120 Jahre lang die Entscheidungsträger der verschiedenen deutschen politischen Systeme versucht haben, Kultur in ihrer auswärtigen Funktion für politische Zwecke zu instrumentalisieren; im Einzelfall lassen sich Kontinuitätslinien sowohl personell als auch argumentativ systemübergreifend darstellen. Dennoch blieben die Ziele in ihrer Gesamtschau immer unterschiedlich und uneindeutig, sowohl in ihrer Definition des Kulturbegriffes ebenso wie in ihren Auffassungen zum Zusammenhang zwischen Kultur und Nation als auch in der Art des Einsatzes. Akteure aller Couleur schrieben Kultur durchgängig politisches Potenzial sowohl zur Außenwirkung als auch zur Definition der Nation zu, jedoch kann keine Einheitlichkeit in Begriff und Funktion konstatiert werden.

In seinen Ausführungen wählt der Autor einen chronologischen Ansatz: Bereits die reichsdeutsche Verfassung definierte die Beziehung zwischen Reich und Kulturpolitik widersprüchlich. Daraus folgte einerseits eine kuriose Diskrepanz zwischen der Ambition Kaiser Wilhelms als “Schausteller auswärtiger Kulturpolitik” (68) und der Zurückhaltung des Auswärtigen Amtes, andererseits eine durchaus flexible Haltung nichtstaatlicher Gruppen und Einzelpersonen, deren Interesse von der überhöhten kulturellen Überzeugung vieler Akademiker bis zum radikalen Modernisierungsanspruch des deutschen Werkbundes reichte. Deutsche Kulturdiplomaten und Auslandsvereinte bemühten sich v.a. um die Auslandsdeutschen z.B. in Österreich, Osten, Kolonien und jüdischer Diaspora. Doch gerade diese Betonung erschwerte die Vorstellung eines neuen deutschen Kulturbegriffs nach 1871 als “national.” Reichsdeutsche wurden durch den Mythos einer Nation als Kulturmacht zur Loyalität verpflichtet. Auslandsdeutsche jedoch unterhielten “Mehrfachidentitäten,” die sich in diese Vorstellung schwerlich integrieren ließen. Trommler argumentiert, dass Kulturtransfer somit zum staatspolitischen und informellen Projekt wurde, welches sowohl innerdeutsche Beamte und Wissenschaftler als auch eine Vielzahl von Auslandsvereinen und private—v.a. jüdische—Sponsoren beschäftigte.

Die Auffassung einer engen Verzahnung von Nation und Kultur verschärfte sich im Ersten Weltkrieg. Indikator für das deutsche Kulturprofil lieferte die alliierte Propaganda, die deutsche Kultur als Brutkasten kaiserlichen Militarismus und die deutsche Kriegserklärung als antizivilisatorisches Denkmuster darzustellen suchte. [End Page 678] Dem entsprach auf deutscher Seite eine untrennbare, wechselseitige Inspiration von Kultur und Militärmacht, die Künstler, Autoren, Wissenschaftler, Soldaten und Entscheidungsträger gleichermaßen beflügelte. Kultur wurde beiderseits zu Schlachtruf, Propaganda, Ordnungs- und Modernisierungsprinzip, Abgrenzungsmoment, Durchhalteparole und Wiederbelegungsversuch. Für Auslandsdeutsche wurde Kultur jedoch zur Herausforderung, da sie ihre Identität an vage kulturelle Vorstellungen, nicht jedoch politische Loyalitäten geknüpft hatten.

Weimarer Kulturpolitiker—jetzt institutionell verankert in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes—entschieden sich im Zeichen von Locarno für Kultur als gesamtdeutsche Gesellschaftspolitik für alle, ohne Pathos, geprägt von Bescheidenheit, Moderne, Internationalismus und Vielfalt. Das Caveat: Permanenter Finanzmangel konnte teilweise durch private Organisationen überbrückt werden, nicht jedoch die Boykottbedingungen, die Deutschland von vielen internationalen Organisationen und Teilnahmen ausschlossen. Raum blieb für vielfältige informelle Kontakte und Kulturtransfer vor allem in Berlin und für die Verfolger eines kulturellen Internationalismus, wie es z.B. das Bauhaus im Grand Palais zu Paris 1930 vorführte. Die internationale “Mobilisierung” deutscher Kultur im Nationalsozialismus wurde umgekehrt von einer Rassenideologie inspiriert, die von vornherein Widersprüche implizierte. Ihr Durchsetzungsanspruch stand in deutlichem Gegensatz zu Hitlers “polykratischem Regierungsstil” (418), welcher viele miteinander wetteifernde Akteure—darunter Auswärtiges Amt, Reichsinnenministerium und Propagandaministerium—zuließ. Zudem schloss das Credo der Einmaligkeit rassischer Erneuerung jegliche ausländische Teilnahme an derselben aus. Diese Widersprüche wurden durch einen weiterhin oszillierenden Kulturbegriff, der von Unterhaltungskultur bis zur kontroversen Instrumentalisierung deutscher Dichter und Denker reichte, noch betont.

1945 bedeutete den buchstäblichen Zusammenbruch der Kulturmachtideologie und Trommler fragt zu Recht, ob damit die Nation aufgegeben wurde. Nicht nur die vier Besatzungsmächte prägten west...

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