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Reviewed by:
  • Goethe’s Allegories of Identity by Jane K. Brown
  • Hans Schulte
Jane K. Brown. Goethe’s Allegories of Identity. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2014. 240 pp. US $ 59.95 (Hardcover). ISBN 978-0-81224-582-0.

Jane K. Brown hat ein wichtiges Buch vorgelegt, das für die Erkenntnis der Goetheschen Klassik so bedeutsam ist wie für die Geistesgeschichte der europäischen Innerlichkeit. Die Autorin setzt bei Rousseau an, dem ersten „theorist of intimacy“ (43), um dann Goethes Ringen – in der Auseinandersetzung mit Rousseau – um eine allegorische Sprache zu beleuchten, die den inneren Menschen darzustellen vermag und so der modernen Tiefenpsychologie den Weg bereitet. Goethe erscheint als „a figure of equal stature with Freud in the history of psychology” (186) – obgleich er ironischerweise nie an der Psychologie per se interessiert war.

Brown vermeidet die Fragwürdigkeit einer geistesgeschichtlichen Betrachtung, die das poetische Werk ‚Entwicklungen‘ unterordnet, durch umfassende Interpretationen besonders des Werther, des Faust und der Wahlverwandtschaften. Ihre Fragestellung ist die des Dichters (wie später auch Freuds) nach der inneren ‚Identität‘ des Menschen und ihrer Sichtbarmachung. „Identität“ ist ein sehr nützlicher Begriff, der im Gegensatz zur ‚Innerlichkeit‘ die Dimensionen der Selbsterkenntnis, der Repression und Selbstentsagung, des Rollenspiels und vor allem des Unbewussten einschließt. Identität ist immer auch Aufgabe, Ethos, Herausforderung.

Rousseau hatte als erster die Selbstheit nicht im Denken, sondern im Gefühl erkannt. Brown zeigt, wie sich schon im Werther, diesem Neuentwurf der Nouvelle Héloïse, angesichts der weltverändernden Innenschau die moralische Frage erhebt. Wie verhält sich das soziale Gewissen zu dem neuen Bewusstsein? Ist und bleibt Werther nicht bei all seinem Leiden ein Egoist? Die Autorin zeigt, dass der Roman ein ‚Werther-Paradigma‘ schafft, den Prototyp romantischer Lieder und Erzählungen, denen es um die Darstellung des abgründig Unbewussten geht. Der solipsistische Held, Naturanbeter, liebt und idealisiert eine unzugängliche Frau, entfremdet sich der Natur und seiner selbst und stirbt. Die Frau ist Sirene, Undine oder Venus (Eichendorff, Marmorbild). Wasser-Allegorien vermitteln das Hingerissensein (Werther „versinkt in dem Strom der Empfin-dung,“ 153) – die Natur wird letztlich zum tödlichen Quälgeist. Sie ist überall die sichtbare Allegorie des schicksalhaft oder pathologisch Unbewussten.

Für viele Wertherleser drängt diese Deutung den Helden ein wenig zu sehr ins Pathologische ab. Zu Bewunderung und Liebe immerhin ruft der Herausgeber die ‚liebe Seele‘ auf – auch was von ihm bleibt, ist Werthers Identität. Werthers Gefühlskraft, Feinsinn und Naturerfahrung überstrahlen alles, was im Rousseau bewegte – das nimmt der Autor auch in der zweiten Ausgabe nicht zurück. Eine doppelte Optik ist hier vonnöten. Die Gesellschaft ist noch weit entfernt, Maßstäbe zu setzen wie im Tasso, das einsame Sterben und Begräbnis („Kein Geistlicher hat ihn begleitet,“ 23) ist auch Anklage. [End Page 284]

Die Autorin macht es glaubhaft, dass Goethe seine Auseinandersetzung mit Rousseaus Julie noch einmal steigert: in den Wahlverwandtschaften. Der Wider-spruch von Kultur und Natur, von Rousseau kaum durchdacht, wird thematisch, und ‚Entsagung‘ versucht ihn zu lösen. Die immer erneuten Repressionen, die in Tod und Tötung enden, machen die Gewalt des Unbewussten sichtbar, gegen das sie angehen. Elaborierte äußere Details, unter anderem der große Komplex katholischer Strukturen und Riten, sind Allegorien eines Unheils, das den Char-akteren kaum oder nicht bewusst ist.

Wie Werther und Faust, stellt auch Wilhelm Meister einen Helden dar, um dessentwillen der ganze Roman da ist. Ein komplexes Selbst entfaltet sich, in zahlreichen Spiegelungen und Einflüssen, von inneren Träumen zu äußerer Tätigkeit. Alle Begegnungen (Frauen!) bedeuten Stufen dieser Entfaltung, eine verwirrende Vielfalt von Identitäten entspricht der Komplexität des Selbst. Interessant ist besonders, wie Wilhelm im Maße seiner psycho-sozialen Reifung den Rollenspielen des Theaters entwächst, während die Dunkelheiten der seelischen Innenraums (Träume, Shakespeare, Mignon und Harfner) bestehen bleiben. Gedächtnis und Vergessen wird hier zur Lösung – Natalie, Wilhelms Zielbegegnung, ist die Priesterin des Vergessens. Freud sucht später gleichfalls durch die Erinnerung zu heilen, die Vergessen möglich macht.

Auch in den frühklassischen Dramen geht es für die Autorin um Selbstfin-dung und Heilung, wiederholt von der Not isolierter Innerlichkeit...

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