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Reviewed by:
  • Goethe und der Alte Fritz by Katharina Mommsen
  • Walter Tschacher
Katharina Mommsen, Goethe und der Alte Fritz. Leipzig: Lehmstedt, 2012. 231 S.

An Arbeiten über Goethe und Friedrich II. hat es bisher nicht gefehlt. Die Autorin führt nicht nur die wichtigsten der zwischen 1878 und 2004 erschienenen Titel im Anhang ihres Buches auf, sie setzt sich auch mit mehreren davon auseinander. Ihre “bescheidene” Absicht sei es, die Aufmerksamkeit “vor allem auf die Berührungspunkte und Reibungsflächen zwischen Goethe und dem preußischen König zu richten …, obwohl beide Männer einander nie begegnet sind” (10). Es handle sich um einen Aspekt, der bisher nicht detailliert genug untersucht worden sei. Katharina Mommsen analysiert den Prozess dieses ungewöhn-lichen Verhältnisses, beginnend mit dem siebenjährigen Goethe, der sich anfangs als Verehrer Friedrichs ausgibt, über den Goethe der Straßburger und Weimarer Zeit, der sich zunehmend von Friedrich distanziert, bis zum 73-Jährigen, der mit Friedrich ins Reine gekommen ist und jetzt ohne Ironie vom “großen Todten” spricht.

Goethe widmet einen großen Teil des ersten Abschnitts von Dichtung und Wahrheit der Wirkung, die Friedrich auf seine Familienverhältnisse ausübte. Der Siebenjährige Krieg führte zu einem Konflikt zwischen Goethes Vater und Großvater, wobei sich der Vater auf die Seite Preußens und der Großvater auf die Österreichs schlug. Nach einem zeitgenössischen Bericht kam es sogar zu hand-greiflichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Familienmitgliedern. Aus einem zeitlichen Abstand von beinahe 60 Jahren bemerkt Goethe zu dieser für [End Page 271] ihn formativen Zeit: “Und so war ich denn auch preußisch, oder um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt: denn was ging uns Preußen an” (14). Die Darstellung dieses frühen Kindheitserlebnisses zeugt deutlich von der später zu beobachtenden “Grundtendenz der Selbsthistorisierung” (Borchmeyer) Goethes. Das Vergangene lässt sich nur aus der Perspektive des sich erinnernden Subjektes erklären. Sollte das Erinnerungsvermögen versagen, so gelte es, sich auf das dichterische Vermögen zu verlassen und es werde daher klar, “daß man mehr die Resultate … als die Einzelheiten, wie sie sich damals ereigneten, aufstellen und hervorheben werde” (MA 16, 916). Goethe betont, dass die familiären Auseinandersetzungen über Friedrich II. zu seiner lebenslangen Abneigung, politisch Partei zu ergreifen, geführt hätten. Bereits hier ist aber auch seine Faszination für “Persönlichkeiten” erkennbar, selbst solche, “die seinem eigenen Wesen vollkommen entgegengesetzt waren” (181).

Im Kontext der Literaturpolitik Friedrichs, das heißt einerseits seiner Verachtung der deutschen und andererseits seiner Verehrung der französischen Literatur, tritt zwangsweise auch Voltaire in den Vordergrund. “Was Goethe an Voltaire besonders faszinierte, war die Verbindung von Dichter, Denker und Weltmann” (43). Im dritten Teil von Dichtung und Wahrheit spricht Goethe von Voltaire als dem “Wunder seiner Zeit” (44). Dem schriftstellerischen Werk Voltaires stand Goethe zeitlebens relativ kritisch gegenüber. Wichtiger als dieses Werk empfand er den sozialen Status, den Voltaire in Europa erreicht zu haben schien. Er war nicht nur ein Autor, den der König von Preußen ernst nahm, er machte auch den Eindruck, als komme ihm ein Platz auf dieser höchsten Stufe der sozialen Hierarchie zu. Voltaire avanciert so zu einem Vorbild, dem man folgen kann, das aber auch die Gefahren aufzeigt, denen ein Schriftsteller auf dieser sozialen Stufe ausgesetzt ist. In Dichtung und Wahrheit heißt es über diesen fragilen Zustand: “Nicht leicht hat sich jemand so abhängig gemacht, um unabhängig zu sein” (43). Ohne Zweifel sah Goethe hier eine Parallele zu seiner eigenen Situation am Hofe Carl Augusts.

Goethe kam mit aufklärerischen Ambitionen nach Weimar und hoffte, als Ratgeber den Herzog auf dem Gebiet der Kulturpolitik beeinflussen zu können. Das gelang ihm auch bis zu einem gewissen Grade. Obwohl der Herzog wie sein Großonkel Friedrich II. für die französische Literatur und insbesondere Voltaire schwärmte, stand er andererseits der Entwicklung der deutschen Literatur sehr offen gegenüber. Er hatte aber auch einen Hang zu allem Militärischen, stand also in dieser Hinsicht ganz auf Seiten Friedrichs, während Goethe, der Friedenspolitiker, eine starke Aversion gegen diese herzogliche Vorliebe entwickelte. Mommsen hebt in diesem Zusammenhang Goethes politischen Realitätssinn und politisches...

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