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  • Der George-Kreis und die Theosophie. Mit einem Exkurs zum Swastika-Zeichen bei Helena Blavatsky, Alfred Schuler und Stefan George by Jan Stottmeister
  • Rolf J. Goebel
Der George-Kreis und die Theosophie. Mit einem Exkurs zum Swastika-Zeichen bei Helena Blavatsky, Alfred Schuler und Stefan George. By Jan Stottmeister. Castrum Peregrini, Neue Folge, Band 6. Göttingen: Wallstein, 2014. Pp. 431. Cloth €39.90. ISBN 978-3835311978.

Stetig aber unter immer neuen Vorzeichen behaupten sich Stefan George und sein Kreis als Faszinations-, Provokations- und Forschungsgegenstand in der jüngeren Germanistik und Kulturwissenschaft. Höchst unterschiedlich muss seine Bewertung allemal ausfallen, denn zwischen Faschismus-Verdacht und Vergöttlichung des Knabenleibes, Sehertum und antimoderner Zeitkritik, meisterlicher Herrscherattitude und kreisinternen Zwistigkeiten verweigern der geistige Wahrheitsanspruch, die sprachliche Schönheit, und selbst der typographische Gestaltungswille von Georges Dichtung jede eindeutige Fixierung in gängigen Wissenschaftsparadigmen. Diese Verweigerung zielt allerdings niemals auf einen ästhetizistisch-liberalen Deutungspluralismus, sondern ist Teil der bewusst eingesetzten Selbstmystifizierung, die ihre poetischen Intentionen und materialen Entstehungsbedingungen im Sinne des Ideals zeitloser Verkündigung zu verschleiern sucht.

Umso mehr muss jede Forschung, die des Meisters Selbstperformanz nicht kritiklos reproduzieren will, diese Kon- und Subtexte zu rekonstruieren suchen. Das Verhältnis Georges und seines Kreises zur Theosophie, der ebenso okkultistischen wie obskuren Geheimlehre über die religiös-kosmologischen Entwicklungsgesetze der Menschheit, die Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) in ihrem umfangreichen [End Page 425] Werk zu offenbaren beanspruchte, ist ein besonders seltsames Kulturphänomen, das im dichterischen Schaffen nur höchst verschlüsselt zur Sprache kommt, für dessen Entstehung aber maßgeblicher war als bisher angenommen. Der Aufarbeitung dieser Lehre und ihrer Bedeutung für Werk und Kreis widmet sich Jan Stottmeisters Studie auf bemerkenswerte Weise. Er bietet eine philologisch-historisch detaillierte Rekonstruktion der Geheimlehre, ihrer Quellen und Wirkungen, wobei die Aufarbeitung über die direkte Bedeutung für George und seine Anhänger hinausgeht und manchmal etwas ins Uferlose auszulaufen droht, aber das Anliegen des Dichters nie als Angelpunkt aus den Augen verliert. Argumentativ versteht es Stottmeister, eine Balance zu bewahren zwischen gründlichem Nachvollzug der Verbindungslinien und einer durchaus kritisch-ironischen Distanz gegenüber dem Meister und seinen Jüngern. Diese Ausgewogenheit ist umso begrüßenswerter, als die George-Wissenschaft manchmal leider noch von einem unfruchtbaren Konflikt zwischen einfühlender Apologetik und polemischer Pauschalkritik gekennzeichnet ist.

Wie Stottmeister zeigt, ist das Verhältnis Georges und seiner Anhänger zur Theo-sophie und ihrem Seitenspross, der Anthroposophie Rudolf Steiners, sehr gespalten. Zum Dichter wurde George nicht zuletzt im Klima der okkultistisch-ästhetizistischen Kultur des fin de siècle, für das auch die Theosophie wichtig war (19). Mit deren Fundamentalkritik an den materialistisch-rationalistischen Tendenzen der wissenschaftsgläubigen und angeblich geist- und kunstfeindlichen Moderne konnten sich Meister und Kreis durchaus einig sehen (13). Andererseits passt aber die maßlos exotisch-esoterische Spekulation dieser Geheimlehre nicht zu Georges primärer Traditionslinie von Platon, Goethe, Hölderlin und Nietzsche (9). Vor allem aber musste sich George bemühen, eigene Ziele, besonders die Rolle als Heilsverkünder der poetischen Vergottung Maximins, von anderen zeitgenössischen messianischen Heilsstiftungen, etwa der Feier des Messias in dem Hindujungen Krishnamurti als Leitgestalt der Theosophie, abzusetzen (10). Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang Georges spannungsgeladenes Verhältnis zu dem kongenialen Illustrator vieler seiner Bücher, dem Theosophie-Konvertiten Melchior Lechter, das Stottmeister zu Recht in den Mittelpunkt seiner Darstellung rückt. Gleichsam als Ergänzung zur visuellen Komponente Lechters betont der Verfasser auch die ansonsten in der George-Forschung recht vernachlässigte musikalische Richtung, die in Gestalt des theosophisch angehauchten Komponisten Cyril Scott für Georges Wirkung wichtig wurde. Der Bezugshorizont reicht darüber hinaus zu Alfred Schuler, der visionären Zentralfigur der Münchner “Kosmiker,” dem George-Wegbereiter Karl Wolfskehl und selbst zu Ernst Bloch, der, man glaubt es kaum, auf ebenso kühne wie verzwickte Weise versuchte, George mit Steiner zu vereinbaren. Das wichtige Konzept der “Schau” als der gängigen historisch-kritischen Wissenschaftspraxis entgegengesetzte, intuitiv-einfühlende Vergegenwärtigung erlangt im Theosophie-Kontext neue Konturen. Die kühne Verherrlichungshermeneutik Friedrich Gundolfs schließlich [End Page 426] verteidigt den Anspruch Georges auf die einzigartig wahrhafte Seherrolle gegen die Ausuferung theosophisch-abseitiger Spekulation.

Bedenkenswert scharf widmet sich ein...

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