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  • Der literarische Europa-Diskurs: Festschrift für Paul Michael Lützeler zum 70. Geburtstag Hrsg. by Peter Hanenberg und Isabel Capeloa Gil
  • Ana Foteva
Peter Hanenberg und Isabel Capeloa Gil, Hrsg., Der literarische Europa-Diskurs: Festschrift für Paul Michael Lützeler zum 70. Geburtstag. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2013. 229 S.

Dieser Sammelband führt auf beste Weise die von Lützeler etablierte literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Europa fort, indem er traditionelle [End Page 158] Europa-Diskurse mit Interpretationen gegenwärtiger Phänomene ergänzt, die den aktuellen Anforderungen Rechnung tragen. Die sechzehn Beiträge sind informell in drei thematische Bereiche unterteilt, wobei die ersten drei eine möglichst offene Kategorisierung der europäischen Literatur anstreben. Ivanović sieht die letztere im Zusammenhang mit der Festlegung des Europäischen, was angesichts der Spannung zwischen den nationalen und kulturellen Identitäten Europas keine leichte Aufgabe ist. Parry sucht nach dem paradigmatischen “europäischen” Roman in deutscher Sprache. Das Problematische an diesem Ansatz zeigt sich bei der Argumentation für die Wahl von Thomas Manns Zauberberg, der mit seiner historischen Zäsur zwischen dem untergegangenen Europa des privilegierten aber auch kosmopolitischen Adels und dem Europa der nationalen Rivalitäten große Ähnlichkeiten zu Musils Der Mann ohne Eigenschaften aufweist, was die Rechtfertigung der arbiträr gewählten normativen Erzählungen in Frage stellt. Andere deutschsprachige Autoren europäischer Prägung sind Sebald und Handke, deren Werke die Protagonisten in einen fiktiven europäischen Raum setzen, der die Autoren von den Schranken der Heimatliteratur befreit. Trotz der wechselseitigen Einfl üsse der Mythen, Themen und Motive, ist es schwierig die Grenzen einer europäischen Literatur heutzutage festzulegen, so meint Gonçalves da Silva, da die koloniale Vorgeschichte und die Globalisierung sie als ein wesentlich interkulturelles Phänomen konstituieren. Daher besteht das Wesen der Literatur gerade in der Dekonstruktion von festen Identitäten durch die “Utopie der Sprache,” die “als Sprache der Utopie im Kampf gegen die Macht der Sprache gebraucht” wird (71).

Die weiteren vier Beiträge nehmen Bezug auf die politischen Ausdrucksformen des Europa- Diskurses. Hoock- Demarle würdigt die diskursiven Bemühungen der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner um ein “werdendes Europa,” weil sie über die düstere politische Realität der Jahrhundertwende hinaus für Europa als geographisches Ganzes, kulturelle Gemeinschaftund europäisches Gewissen plädiert und sich die Bildung einer europäischen Staatenunion auf diesen Grundsätzen erhofft. Hahns Analyse der zionistischen Diskurse der Jahrhundertwende zeigt auf, dass gerade in der Ablehnung des Assimilationsgedankens die stark europäisch geprägte Identität der Juden zum Ausdruck kommt und sich in einem Spannungsverhältnis mit dem Anspruch an einen orientalischen Ursprung des Judentums paart. Dieser vermeintliche Widerspruch der jüdischen Identitäten wirft ein anderes Licht ebenfalls auf die europäische Identität, die durch ihre Gebundenheit [End Page 159] an das Jüdische folgerichtig das Asiatische mit einbezieht, was allerdings von Hahn nicht aufgegriffen wird. Gimber befasst sich mit den Projektionen deutscher Intellektueller auf das Spanien der Zwischenkriegszeit. Sowohl für den konservativen Curtius als auch für den revolutionär gesinnten Toller spielt Spanien die Rolle des Bollwerks gegen den Amerikanismus und weist damit auf ein selbstbezogenes Europa hin.

Der letzte Block von thematisch verschiedenen Beiträgen wird auf den gemeinsamen Nenner des Europa- Diskurses nach 1945 gebracht. Unter den neun Beiträgen lassen sich aufgrund von Querverbindungen drei Untergruppen aufstellen. Auf unterschiedliche Weisen gehen Garraio, Agazzi und Guarda auf das prekäre Verhältnis zwischen dem Europäischen und dem Anderen ein. Während Garraio die Diskurse der Nachkriegsvergewaltigung deutscher Frauen durch sowjetische Truppen als eine bewusste politische Grenzziehung zwischen dem zivilisierten christlichen Europa und dem barbarischen heidnischen Asien entlarvt, relativiert Guarda die Konstellation Zentrum-Peripherie in ihrer Analyse von Florescus Roman Jakob beschließt zu lieben, in welchem durch die Familiengeschichte die Geschichte Europas als Prozess dauernder Migrationen, Kriege und Traumata geschildert wird. Diese Geschichte schuf eine kulturelle und ethnische Mischung in Europa, die Konzepte wie ethnische Nation und einheitliche Kultur widerlegt. Allerdings wird dieser Mischung, wie Agazzi anhand Gauß’ essayistischer Arbeit erläutert, im heutigen Europa nicht Rechnung getragen, da laut Gauß heute weniger Menschen denn je sich zu einer Minderheit bekennen...

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