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Reviewed by:
  • Bertha von Suttner und Russland by Valentin Belentschikow
  • Stefan Simonek
Valentin Belentschikow, Bertha von Suttner und Russland. Vergleichende Studien zu den Slavischen Sprachen und Literaturen 15. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2012. 245 S.

Älteren Semestern in Österreich mag Bertha von Suttner wohl vorrangig noch deshalb in Erinnerung sein, weil ihr Porträt den alten 1000- Schiling-Schein zierte—zu seiner Zeit die größte Banknote und ein stattlicher Geldbetrag. Aus dem Kanon der österreichischen Literatur sind die pazifistischen Romane der Autorin, wie etwa Die Waffen nieder!, hingegen längst verschwunden, was der hier besprochenen Monographie freilich ihre spezifische Relevanz verleiht, beleuchtet Belentschikow doch ein nur wenig bekanntes und wissenschaftlich bearbeitetes Teilgebiet russisch-österreichischer Kulturbeziehungen im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Grundlage dafür bietet die entsprechende Leningrader Dissertation des Verfassers aus dem Jahr 1974, die hier in einer aktualisierten Fassung neu publiziert wird. Auch wenn Belentschikow zu diesem Zweck rezentere Positionen aus der Sekundärliteratur in seine Darstellung eingearbeitet hat, machen sich die rund vierzig Jahre, die seit der Approbation der Arbeit inzwischen vergangen sind, auf methodologischer Ebene etwa in der Übernahme von komparatistischen Termini wie [End Page 119] “Einfluss” oder “Entlehnung” doch bemerkbar. Aus diesem Blickwinkel heraus scheint es nur konsequent, dass der wesentliche Ertrag von Belentschikows jüngster Studie ohne jeden Zweifel primär in den penibel nachgezeichneten Verbindungen zwischen Suttners publizistischem wie literarischem Werk und dem zeitgenössischen, pazifistisch orientierten Geistesleben in Russland liegt; diese Verbindungen werden hier in beide Richtungen ausführlich dokumentiert.

Belentschikow umreißt zunächst Suttners mehrjährigen Aufenthalt in Georgien, in dessen Zuge die Schriftstellerin auch ihre Kenntnisse des Russischen perfektionierte, ehe er die Aufnahme von Suttners (teilweise mehrfach übersetzten und neu aufgelegten) Romanen in Russland bis in das Jahr 1914 nachzeichnet. Die beiden darauf folgenden, informativen Kapitel zu Suttners Kontakten mit dem russischen Maler Vasilij Vereščagin, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen den Schrecken des Krieges ungeschönt darstellenden Gemälden europaweit Erfolge feierte, sowie zu Suttners langjähriger Korrespondenz mit Lev Tolstoj in den Jahren 1891 bis 1909 zählen aufgrund der hier bewerkstelligten Verschränkung der diversen kulturellen Vermittlungsinstanzen von der Veröffentlichung von Beiträgen bis hin zur unmittelbaren persönlichen Begegnung zu den gelungensten der gesamten Studie: In Bezug aufVereščagin zeichnet Belentschikow dessen kontinuierliche Präsenz in Suttners pazifistischer Zeitschrift “Die Waffen nieder!” nach, in der mehrfach (auch in Gedichtform gehaltene) Beiträge zu Vereščagin oder aber Texte von diesem selber, wie etwa 1893 der Beitrag Aus den Erinnerungen eines Schlachtenmalers, veröffentlicht wurden. 1897 lud der in Wien weilende russische Maler Suttner dazu ein, seine in der Stadt ausgestellten Gemälde von Napoleons Russlandfeldzug zu besichtigen. Suttners Periodikum gewann daneben (wie von Belentschikow ebenfalls ausgewiesen) besondere Relevanz für die Verbindungen zu Tolstoj, ersuchte die österreichische Schriftstellerin ihren berühmten russischen Kollegen in ihren Briefen doch mehrfach und in durchaus devotem Tonfall um Beiträge für ihre Zeitschrift.

Aus der wechselseitigen Korrespondenz geht weiter hervor, dass Tolstoj einige Werke von Suttner, wie etwa den Roman Schach der Qual (1898), kannte, in dem die Autorin die staatliche Verfolgung der russischen Sekte der Duchoborzen schilderte, deren Mitglieder den Dienst mit der Waffe verweigerten. Die Bedeutung von Suttners Zeitschrift für Tolstoj wiederum lag in der Möglichkeit, darin Beiträge zu veröffentlichen, die in Russland selbst aufgrund ihrer radikal antimilitaristischen und gegen die staatlichen Institutionen [End Page 120] gerichteten Haltung der Zensur zum Opfer fielen. Positiv hervorzuheben ist an diesem Kapitel der Studie die dichte Kontextualisierung der Korrespondenz zwischen Suttner und Tolstoj mit weiteren zeitgenössischen Quellen, die auch den jeweiligen, voneinander durchaus differierenden Positionen der beiden Briefpartner Kontur verleiht und so einen signifikanten Schritt weit über das den Band sonst dominierende faktographisch-positivistische Paradigma hinausgeht: Setzte Suttner bei ihren publizistischen Friedensaktivitäten primär auf die Einsicht der führenden europäischen Staatsoberhäupter, so zielte Tolstojs Engagement in seiner Vermengung anarchistischen und christlichen Gedankengutes umgekehrt auf breitere Kreise der Bevölkerung.

Nach Vereščagin und Tolstoj, die für Suttners Bestrebungen beide von besonderer Relevanz waren, widmet sich Belentschikow weiter den Kontakten, die Suttner mit dem Soziologen Jakov Novikov, dem Juristen Leonid Kamarovskij sowie dem Nationalökonomen...

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