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  • Heinrich von Kleist: Style and Concept: Explorations of Literary Dissonance Edited by Dieter Sevin and Christoph Zeller
  • Paul Michael Lützeler
Heinrich von Kleist: Style and Concept: Explorations of Literary Dissonance. Edited by Dieter Sevin and Christoph Zeller. Berlin: De Gruyter, 2013. Pp. 422. Cloth €99.95. ISBN 978-3110270471.

Christoph Zellers Einleitung und die abschließenden Reflexionen von Christine Kohlross bilden den Rahmen des Ganzen: Viele von Kleists dichterischen Arbeiten, hält Zeller fest, stellen für weltanschauliche Dogmen eine Herausforderung dar und nehmen ideologiekritische Positionen vorweg, wie sie dann seit Marx und Nietzsche auf unterschiedliche Weise verstärkt das kulturelle Bewusstsein der Moderne prägen. Kohlross meint, dass die Erdbeben im eigentlichen wie übertragenen Sinne, an denen sich der Autor abgearbeitet habe, zu Chiffren unserer von Katastrophen geplagten Gegenwart geworden seien. Der Band ist in sechs thematischen Gruppierungen angeordnet: Leben und Fiktion, Sprache und Medien, Text und Intertext, Philosophisches und Juristisches, Affekt und Gefühl, Musik und Rezeption.

Unter “Leben und Fiktion” kommt als erster Günter Blamberger zu Wort, einer [End Page 653] der besten Kenner von Kleists Biografie. Er schildert den Autor als Projektemacher, als jemanden, der sich in ständig wechselnde Unternehmungen stürzt. Sein Vorbild dafür sei Ernst Wünsch gewesen. Von Wünschs Studie Kosmologische Unterhaltungen mit dem Gesetz der polaren Kontaktelektrizität sei Kleist fasziniert gewesen. Dieses Polaritätsgesetz mit seiner Dualität von Anziehung und Abstoßung habe Kleists Bildungsidealismus unterminiert und Einfluss auf die Gestaltung seiner Protagonisten gehabt, die nicht selten als “Kipp-Figuren” erscheinen. Auch bei Hinrich Seeba geht es um biografische Aspekte, um die entweder nie geschriebene oder verschollene Schrift “Geschichte einer Seele” des Autors. Seeba liegt, mit Kant zu sprechen, am Herausfinden der “Bedingung der Möglichkeit” von Biografie im Falle Kleists. Dessen im frühen Lebensplan gesteckte Ziele seien im Zug der sogenannten Kant-Krise konterkariert worden. Sören Steding meint, dass man Kleist vor allem als traumatisierten Soldaten sehen sollte, der als junger Mann bereits die Angst und den Horror auf dem Schlachtfeld erlebt habe. Der Krieg sei im Werk des Autors omnipräsent.

Das Kapitel “Sprache und Medien” eröffnet Helena Elshout mit einem narratologischen Aufsatz über die Materialität in Kleists Erdbeben in Chili. Wie sie selbst sagt, ist ihre Studie ein Beleg für die gegenwärtige Abwendung vom Poststrukturalismus hin zu Aspekten der Performanz, wo es um die Realität des Artifiziellen geht. Elshout hält fest, dass es in Kleists Erzählungen immer wieder Schlüsselmomente gibt, in denen nicht feststehe, aus welchem Mund gesprochen werde. Wolf Kittler erinnert an die Techniken der Übermittlung von Botschaften, deren revolutionäre Umgestaltung Kleist bereits wahrgenommen habe. In einer Notiz der Berliner Abendblätter hat der Autor den gerade von Thomas von Sömmering erfundenen “elektrischen Telefgrafen” beschrieben, der es möglich mache, in Sekundengeschwindigkeit Botschaften um die Erde zu schicken. Er selbst hat sich, Projektemacher der er war, an der Idee einer “Bombenpost” zur Beschleunigung von Korrespondenzen berauscht: mit Kanonen sollten Postsendungen von Artilleriestation zu Artilleriestation geschossen werden. Scott Abbott interessiert sich fürs Stehen und Fallen, für Erektion und Erschlaffung in der Erzählung Die Marquise von O.… Er bringt die Vergewaltigung mit dem patriarchalen Prinzip in Verbindung. Dieses Prinzip werde widerlegt durch die Entscheidung der Marquise, ihr eigenes Leben aufzubauen. Mit der fundamentalen Irritation einer Frau, der Alkmene im Amphitryon, hat auch John B. Lyons Studie zu tun. Für ihn artikuliert sich im “Ach” der Alkmene die Hinterfragung der Weisheit des Jupiter, womit sie sich gegen die Wiederherstellung der alten göttlichen Ordnung wende. Lyon stellt zu Recht fest, dass die Schlüsse bei Kleist durchweg offen seien.

Der Abschnitt “Text und Intertext” setzt mit einem Aufsatz von Jeffrey High über Freude und Rache bei Schiller und Kleist ein. Der frühe Kleist stehe dem Klassiker noch relativ nahe. Aber in der Entwicklung des Kleistschen Schaffens profilierten sich immer deutlicher die Differenzen: Der philosophische Schwerpunkt verlagere sich vom Schillerschen Zusammenhang von Tugend und Glück zum Kleistschen [End Page 654] von Rache und Hass. Bernhard Greiner sieht, was die Ästhetik der Tragödie betrifft, Kleist auf einer Bahn, auf der man sich von der überm...

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