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Reviewed by:
  • The German Minority in Interwar Poland by Winson Chu
  • Joachim Neander
The German Minority in Interwar Poland. By Winson Chu. New York: Cambridge University Press, 2012. Pp. xxii + 320. Cloth $94.00. ISBN 978-1107008304.

Nach 123 Jahren Aufteilung unter die Nachbarstaaten Russland, Preußen und Österreich konstituierte sich am 11. November 1918 wieder ein polnischer Staat. Durch Kriege und militärisch unterstützte Aufstände dehnte er sein Territorium bis Juli 1922 auf knapp 390.000 Quadratkilometer aus. Etwa ein Drittel seiner Bevölkerung waren Nichtpolen. Im Bemühen, einen ethnisch und religiös homogenen Staat zu [End Page 212] schaffen, verfolgte Polen gegenüber seinen slawischen Minderheiten eine Politik der Assimilierung, gegenüber der deutschen Minderheit eine der Verdrängung. Die meisten nationalen Minderheiten Polens befanden sich daher im doppelten Span-nungsfeld außen- und innenpolitischer Konflikte.

Dies galt vor allem für die deutsche Minderheit, etwas über zwei Prozent der Einwohner des Landes. Repressionen ihr gegenüber dienten Adolf Hitler als Vorwand, am 1. September 1939 in Polen einzumarschieren, womit er den Zweiten Weltkrieg auslöste. Sie ist daher Thema vieler Publikationen geworden. Ein Großteil der deutschsprachigen Texte ist „Heimatliteratur“ mit ihrer Tendenz zur Idealisierung des Gestern. Das Leben der deutschen Minderheit wird als harmonisches Miteinander gezeichnet, Konflikte gab es mit den anderen, den Polen, und am Ende steht das Trauma des als unverdient empfundenen Verlustes der Heimat.

Den Gegenpol bildet die polnische national-kommunistische Historiographie, die unter anderem die Vertreibung der Deutschen aus dem Nachkriegspolen rechtfertigen sollte und deren Thesen auch im Westen vielfach übernommen wurden. Nach ihr hat die deutsche Minderheit schon seit 1919 als „Fünfte Kolonne“ geschlossen auf die Zerstörung des polnischen Staates hin gearbeitet. Sie sei daher zu Recht nach dem Sieg über Hitlerdeutschland des Landes verwiesen worden. Polen habe auch kein Risiko einer Wiederholung eingehen können und daher alle Deutschen aus den „wiedergewonnenen Gebieten“ aussiedeln müssen.

Beiden Extremen liegt eine schematische Sicht auf die deutsche Minderheit im Polen der Zwischenkriegszeit zu Grunde, die Winson Chu mit der vorliegenden Studie Schritt für Schritt dekonstruiert. Er zeichnet aufgrund umfangreicher Studien in polnischen und deutschen staatlichen Archiven sowie der Auswertung zeitgenössischer Zeitungen, Zeitschriften und Buchpublikationen ein höchst differenziertes Bild von der deutschen Minderheit und ihren politischen Aktivitäten.

Das wichtigste Ergebnis seiner Analyse ist, dass es keine einheitliche, landesweite Politik der deutschen Minderheit im Polen der Zwischenkriegszeit gab. Sie organisierte sich innerhalb der Grenzen der ehemaligen Teilungsgebiete und vertrat in erster Linie regionale, aus den Besonderheiten der Geschichte der Deutschen im jeweiligen Teilungsgebiet zu erklärende Interessen. Chu schildert ausführlich, wie soziale Strukturen innerhalb der Regionalgruppen, Stammesdünkel („West“ gegen „Ost“) und nicht zuletzt persönliche Animositäten der Führungspersonen gegeneinander verhinderten, dass sich die Deutschen zu einer landesweiten Organisation zusammen fanden.

Selektive Repression von polnischer Seite, vor allem aber eine ungleiche Zuwei-sung von Subventionen aus dem Reich, verschärften diese Gegensätze. Alle Weimarer Regierungen arbeiteten auf die Wiederherstellung der deutschen Ostgrenze von 1914 hin. Politisch waren sie daher nur an denjenigen Deutschen interessiert, die als Irredenta in den an Polen abgetretenen Gebieten lebten und den Revisionsanspruch [End Page 213] demographisch legitimieren sollten. Wie Chu zeigt, kamen die reichlich fließenden Gelder daher fast ausschließlich den ehemaligen Reichsdeutschen zugute.

Noch vor dem 10. Januar 1920, als große Teile Preußens in Folge von Versailles formal zu Polen kamen, hatten Deutsche massenhaft diese Gebiete verlassen, weil sie für sich keine Zukunft im neuen polnischen Staat sahen. Druck von polnischer Seite ließ ihre Zahl bis Ende 1921 auf 600.000 bis 800.000 Personen anwachsen. Viele Deutsche verließen auch den Teil Oberschlesiens, der 1922 Polen zugeschlagen wurde. Chu zeigt, dass dieser Exodus aus dem westlichen Polen—der bis Kriegsbeginn anhielt—zur Folge hatte, dass sich ab Mitte der Dreißiger Jahre das demographische Schwergewicht innerhalb der deutschen Minderheit nach Osten, insbesondere nach Łódź, verlagerte. Mit 60.000 Deutschen in der Stadt und weiteren 120.000 im Umland wurde Łódź zu ihrem politischen Mittelpunkt.

Mit dem Machtantritt Hitlers 1933 begannen die Nationalsozialisten in der deutschen Minderheit an Mitgliederzahl und Einfluss zu wachsen. Die Nazifizierung der deutschen Minderheit verschärfte die...

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