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  • Großstadt werden! Metropole sein! Bratislava, Wien, Berlin: Urbanitätsfantasien der Zwischenkriegszeit 1918–1938 ed. by Dagmar Košt’álová and Erhard Schütz
  • Primus-Heinz Kucher
Dagmar Košt’álová und Erhard Schütz, Hrsg., Großstadt werden! Metropole sein! Bratislava, Wien, Berlin: Urbanitätsfantasien der Zwischenkriegszeit 1918–1938. Frankfurt: Peter Lang 2012, 224 S.

Während Robert Musil in seinem ersten moe-Kapitel einleitend meinte, “Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen”, sprach einer der bedeutendsten Flaneure des 20. Jahrhunderts, Joseph Roth, zurückhaltender von “große[r] Vermessenheit, Städte beschreiben zu wollen”, legte jedoch zugleich ein beeindruckendes Œuvre an typologisch und sprachästhetisch prägnanten Stadttexten vor. Beide Zitatfragmente stammen aus dem von E. Schütz verfassten einleitenden Beitrag des hier vorliegenden Sammelbandes, der auf eine Kooperation zwischen der Humboldt-Universität Berlin und der Comenius-Universität Bratislava zurückgeht.

Den Schwerpunkt der insgesamt zwölf Beiträge bildet der Blick auf das vergleichsweise wenig bekannte Bratislava, das zugleich als ungarische Krönungsstadt den Namen Pozsony trug. Als Pressburg lag es zudem in Reichweite wie auf genügender Distanz zur Donaumetropole, um diese komparativ und mitunter kritisch, z. B. 1848, im Auge zu behalten und dennoch spezifischen Eigensinn entfalten zu können. Letzteres legte allein schon die demographische Zusammensetzung um 1920 nahe, eine Drittelaufteilung zwischen Slowaken, Deutschsprachigen und Ungarn, eine Komposition, die sich freilich, wie Blanka Mongu in ihrem Beitrag über das deutschsprachige Feuilleton darlegt, im Zuge der Modernisierung und urbanen Expansion bis in die 1930er Jahre deutlich verschieben wird. Trotz (verständlicher) Slowakisierung, im zeitgenössischen Diskurs verstanden als Chance auf großstädtische Ausgestaltung, hielt sich der deutschsprachige Anteil zwar länger erstaunlich stabil und partizipierte an den einsetzenden Diskussionen über die Ausgestaltung eines dynamischer sich präsentierenden Stadtraumes, insbesondere über das Textgenre des Feuilletons, verlor jedoch in der Gesamtrelation zusehends an Gewicht.

Eingeleitet wird der Bratislava-Block von einem eher ungewöhnlichen Akzent über die Selbstfindung der Stadt: nämlich aus einer Katastrophen-Erfahrung heraus, d. h. konkret aus dem Brand im alten jüdischen Viertel vom Mai 1913, dem sogenannten “schwarzen Sabbat”, bei dem neben dem Verlust der weltweit geschätzten Jeschiwa rund siebzig Häuser zerstört wurden und mit ihnen ein kollektiver Bild-und Erinnerungsraum verloren ging. Jozef Tancer geht dabei auf markante Katastrophennarrative der Berichterstattung [End Page 122] ein und setzt diese, ähnlich einem klassischen Drama, in Beziehung mit Perspektiven der Katharsis, sichtbar in temporären Solidarbekundungen, aber auch, in weitere Narrative eingebunden, mit einem grundlegenden Kampf um kulturelle Markierungen. Konkret ging es hier um die Sichtbarkeit der jüdischen Komponente, die zuvor, aus sozial-wie nationalitätenpolitischen Motiven zu weitgehender Unsichtbarkeit verurteilt war. Die Mehrzahl der anderen Beiträge dieser Sektion widmet sich Facetten der deutschsprachigen Publizistik: von Péter Urban erfahren wir über zwei kurzlebige Projekte der frühen 1920er Jahre, unter denen das eine schon vom Titel her wenig Spektakuläres suggeriert, nämlich Heimat, das andere hingegen, Riff, als eine ambitiöse Kultur und Literatur vermittelnde Plattform zwischen Wien, Prag, Deutschland und der Slowakei sowie unter Einschluss der ungarischen Moderne (Babits, Balázs), sich zu positionieren versuchte. Mit der Bratislaver Zeitung (1920–24) setzt sich neben B. Mongu auch Katarína Motyková unter dem Blickwinkel sogenannter konzeptueller Metaphern auseinander, die den Ablöseprozess aus der kakanischen Geschichte hin zu einer Neupositionierung mit expliziten Zentrum-Vorstellungen, auch in darauf abgestimmten Sprachsignalen, sichtbar machen. Um Positionierungen geht es auch in den Pressburger Interieurs (1929) der im Genre des Feuilletons verankerten Elsa Grailich. Veränderungen in der Außenwelt, die sie anhand urbanistischer Signale registriert, z.B. die funktionalistischen, modernen Villenbauten, aber auch Signale des Verfalls einzelner Straßenzüge, begegnet sie mit einem einlässlichen Blick in Innenräume, die zu Refugien einer melancholischen Abschiedsinszenierung von einer schrittweise entschwindenden Wirklichkeit werden und einzelne Texte, wie Margita Gárborová ausführt, mit der Patina eines “übertriebenen Ästhetizismus” überziehen. Kontrastierend abgerundet wird der Bratislava-Block durch Erinnerungstexte (tschechisch)-slowakischer Autoren: durch Štefan Žárys wenige Jahre vor seinem Tod (2007) vorgelegte Erinnerungen an sein Bratislava zwischen 1918 und 1948 Bratislavský chodec/Der Stadtgeher von Bratislava, in die zahlreiche reale wie imaginäre Begegnungen eingearbeitet sind. Dagmar...

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