- Turkish German Cinema in the New Millenium: Sites, Sounds, and Screens edited by Sabine Hake and Barbara Mennel
Der von Sabine Hake und Barbara Mennel herausgegebene Sammelband stellt eine Bestandsaufnahme aktueller Forschung zum deutsch türkischen Kino dar. Aufgeteilt in vier Teile und bestehend aus fünfzehn Beiträgen, ist er mit seinem spezifischen Fokus auf audiovisuelle Formen deutsch türkischer Kultur der letzten zwanzig Jahre ein Novum. Der Sammelband präsentiert die Ergebnisse eines Workshops (“Rethinking German-Turkish Cinema”) an der University of Texas, Austin im März 2010. Dies schlägt sich in der Qualität des Buches nieder. Die einzelnen Beiträge beziehen sich aufeinander und führen somit die Diskussion fort. Zudem werden thematische und methodische Schnittstellen der verschiedenen Ansätze und Perspektiven auf die deutsch türkische Medienkultur sichtbar.
In allen Beiträgen wird auf den Bindestrich bei der Bezeichnung “deutsch türkisch” verzichtet. Durch diese Weglassung will sich der Essayband, so die Herausgeberinnen in der Einleitung, von einseitigen und einschränkenden Modifizierungen abwenden. Stattdessen sollen die Vielfalt und der Austausch von Positionen jenseits nationaler Abgrenzungen hervorgehoben werden. Darüber hinaus erweitern die Beiträge die Definition des deutsch türkischen Kinos anhand zweier wesentlicher Punkte: zum einen durch die Perspektive der Filmproduktion und zum anderen durch die Neukonzipierung der analytischen Kategorie “Ethnizität” als selbstbestimmt.
Besonders hilfreich und aufschlussreich, nicht nur für ein Fachpublikum, ist die Übersicht zur bisherigen Entwicklung des deutsch türkischen Kinos und zum aktuellen Forschungsstand in der Einleitung. Die Geschichte des deutsch türkischen Kinos wird in drei Abschnitte unterteilt, die aus jeweils unterschiedlicher Perspektive verschiedene Gegenstände untersuchen. Von den “pflichtbewussten Problemfilmen” der ersten Phase in den 1970er und 1980er Jahren und den “Freuden der Hybridität” (Deniz Göktürk) im Film der 1990er Jahre, gekoppelt an eine Neupositionierung des deutsch türkischen Films im transnationalen Kontext, gelangen wir zur letzten, aktuellen Phase. Seit Beginn des neuen Millenniums scheinen sich kritischere Auseinandersetzungen mit Fragen der Migration und Immigration bemerkbar zu machen und Dokumentarfilme und experimentelle Filmpraktiken zu dominieren. Dies manifestiert sich in der Forschung durch die Einbeziehung transnationaler Perspektiven und die Reflexion der Position Deutschlands innerhalb Europas. [End Page 744]
Diese neuen Ansätze, die sich nicht nur aus der Film- und Kulturwissenschaft (Roland Barthes, Homi Bhabha, Kwame Appiah, Laura Mulvey, Hamid Naficy) speisen, sondern auch aus der Literaturwissenschaft (Leslie Adelson, B. Venkat Mani und Azade Seyhan), präsentiert und diskutiert der Sammelband. Bemerkenswert ist vor allem, dass Aspekte einbezogen werden, die bisher wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit fanden, wie zum Beispiel die große Bandbreite an Medien (Film, Fernsehen und Videoinstallationen), die Produktionsrichtlinien und -praktiken (innerhalb der EU und der Türkei) oder die öffentliche Wahrnehmung und Darstellung von SchauspielerInnen im deutsch türkischen Kontext. Darüber hinaus ist die Diskussion auditiver, visueller und literarischer Bezüge sehr aufschlussreich, auf die im Rahmen dieser Rezension insbesondere eingegangen wird.
Der erste Teil, “Configurations of Stereotypes and Identities: New Methodologies,” umfasst drei Essays, verfasst von Daniela Berghahn, David Gramling und Marco Abel, die sich mit ethnischen Stereotypen auseinandersetzen und neue Ansätze und alternative Lesarten zu Fernseh- und Spielfilmen anbieten. So vergleicht Daniela Berghahn den Spielfilmfilm Evet, ich will (2009) und den Fernsehfilm Meine verrückte t ürkische Hochzeit (2006) mit anderen diasporischen Hochzeitsfilmen und definiert sie als romantische Komödie. Diese transnationale Perspektive steht im Kontrast zu dominierenden Analysen von Zwangsehen im deutsch türkischen Film.
Der zweite Teil, “Multiple Screens and Platforms: From Documentary and Television to Installation Art,” untersucht eine Reihe von visuellen Medienformen: Dokumentarfilme, Fernsehfilme und Videoinstallationen. Dabei werden sowohl kontextuelle als auch intertextuelle Bezüge aufgezeigt. So arbeitet Angelica Fenner Einflüsse von Martin Scorseses biographischem Dokumentarfilm Italianamerican (1974) auf Fatih Akıns Wir haben vergessen zurückzukehren (2001) heraus. Ingeborg Majer-O’Sickey bezieht u.a. Aysun Bademsoys Dokumentarfilm-Trilogie über Fußball auf globale cinefeminist Fußballfilme wie zum Beispiel Gurinder Chadhas Bend it like Beckham (2002). Nilgün Bayraktar diskutiert Kutluğ Atamans Videoinstallation Küba (2004) als Teil...