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  • “nur ein land / mein sprachland”. Heimat erschreiben bei Elisabeth Augustin, Hilde Domin und Anna Maria Jokl by Nikola Herweg
  • Kathrin Seidl
“nur ein land / mein sprachland”. Heimat erschreiben bei Elisabeth Augustin, Hilde Domin und Anna Maria Jokl. Von Nikola Herweg. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011. 240 Seiten. €24,80.

“Prag läßt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen” konstatiert Kafka der Stadt, in welcher er schrieb, mühsam seine Tage verlebte, und nachts immer und immer wieder schrieb. Schreiben wurde ihm zur Überlebensstrategie an einem Ort, der gleichzeitig geliebt und unlebbar erscheint, und den Kafka ebenso wenig wie die existenzielle Angst, die seine Texte durchzieht, je hinter sich lassen konnte.

Verstoßen aus dem nationalsozialistischen Deutschland, der geliebten und unlebbar gewordenen Heimat, schreiben Elisabeth Augustin, Hilde Domin und Anna Maria Jokl um weiterzuleben. Ihre Texte und Biografien werden zu Hieroglyphen einer Epoche, die sich—so Jokl—schmerzhaft einätzten. Die Schriften dieser Auto-rinnen sprechen häufig von Tod und Neugeburt als Metaphern für existenzielle Zä-suren und geografische Dislokationen. Ein Vorher und Nachher wird markiert, welches die ursprüngliche Heimat und damit verbundene Sicherheit, Sprache und Selbstbild aus der Sphäre der idyllischen Imagination, welche immerhin reellen Gehalt hatte, in die historische Wirklichkeit holt. Heimat wird erst dort sichtbar: als schmerzhafter, unüberwindbarer Verlust.

Nikola Herweg erforscht in ihrer Monografie nur ein land / mein sprachland das Streben nach Heimat und den komplexen Prozess ihrer Verortung als Schreiban-lass und Motiv in Elisabeth Augustins, Hilde Domins und Anna Maria Jokls Œuvre. Wie sie nachweist, wurden deren autobiografische Lyrik und Prosa entscheidend von der traumatischen Erfahrung von Exil und Shoah und den dadurch bedingten Lebensbrüchen geformt. Herwegs kritische Interpretation dieser Texte gibt frische Impulse für deren weitere Rezeption und führt zu einer nuancierten Neu-Kalibration unseres Verständnisses von autobiografischem Schreiben. Ihre vorbildlich recherchierte und überzeugend argumentierende Studie erfüllt Forschungsdesiderata zu den Autorinnen und leistet darüber hinaus einen originellen Beitrag zur Diskussion zentraler Themen, Ideen und Problemstellungen innerhalb der literarischen Exil- und Heimatforschung. Herweg korrigiert irrige Vorstellungen beispielsweise hinsichtlich der Emigration Jokls und füllt bisherige Forschungslücken durch die intensive Beschäftigung mit den Prosatexten Domins, die bisher hauptsächlich als Lyrikerin wahrgenommen und in mehreren Dissertationen und Aufsätzen unter vornehmlich theologischen Aspekten diskutiert wurde. Ihre Studie der Texte Domins ergänzt hierbei die Arbeiten von Marion Tauschwitz zu Domins Biograffie, und ihr Beitrag zu Anna Maria Jokl ließe sich in Verbindung mit der von Jennifer Tharr herausgegebenen Sammlung autobiografischer Texte Jokls (Aus sechs Leben, 2011) im Literaturunterricht verwenden. Ein zentrales Anliegen Herwegs ist die Auseinandersetzung mit dem Postulat von Authentizität (versus Wahrheit) in der Autobiografik, was die von Rudolf Pesch begonnene [End Page 529] Besprechung von Jokls Streben nach Authentizität des Schöpferischen (Anna Maria Jokl und der “Jossel Rackower” von Zvi Kolitz, 2005) unter veränderten Vorzeichen weiterführt. Schließlich leistet Herweg wissenschaftliche Pionierarbeit zu Elisabeth Augustin. Diese wenig bekannte Autorin fand in der Vergangenheit nur begrenzt Beachtung durch vereinzelte Arbeiten beispielsweise von Heiko Stern (“Sprache zwischen Exil und Identität,” 2000) und von Helga Hipp in ihrer Monografie über Augustins deutsche und niederländische Textfassungen (Autor und Text im Spannungsfeld der Zweisprachigkeit, 1990).

nur ein land / mein sprachland gliedert sich, nach einer Einleitung mit Übersicht der gegenwärtigen Forschungslage und Methodologie, in zwei Hauptteile. Im ersten Teil stellt Herweg die Werdegänge der Autorinnen in vergleichender Weise dar und veranschaulicht die Auswirkungen des Exils auf die Biografien und Schreibsituationen durch informierten Einbezug umfassenden Quellenmaterials (Tagebücher, Korrespondenzen, Gedichte und Prosatexte). Die von Herweg nachgewiesene Hinwendung zum Autobiografischen bei Jokl und Augustin sowie das von Domin erst im Exil begonnene, ebenfalls autobiografisch geprägte Schreiben unterstützen ihre These, Sprache sei den Autorinnen Mittel zur Bestimmung der eigenen Identität, Schreiben zur Bewältigungsstrategie und Reaktion auf das von Exil und Shoah verursachte Trauma geworden. Autobiografisches Schreiben selbst wird dabei in Anlehnung an Paul de Man als eine “Lese- und Verstehensfigur” begriffen und Trauma implizit als ein zentrales Ordnungsprinzip des literarischen Schaffens.

Herweg bringt das Motiv mehrfacher Leben und Identitäten zusammen mit den verschiedenen Stationen des Exils, mit Ringen um Sprache und...

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