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Reviewed by:
  • Werther, der Werwolf: Roman by Johann Wolfgang von Goethe, Wolf G. Heimrath
  • Waltraud Maierhofer
Johann Wolfgang von Goethe, Wolf G. Heimrath, Werther, der Werwolf: Roman. Munich: Goldmann, 2011. 192 pp.

Die Welle der Mash-Up-Romane (wie Pride and Prejudice and Zombies nach Jane Austen, 2009) musste früher oder später auch Goethe erreichen. Nun liegt also unter dem naheliegenden Pseudonym “Wolf G. Heimrath” Werther, der Werwolf vor. In seiner Mischung von Originaltext mit Elementen der jüngsten Werwolfmode in der Trivial- und Jugendliteratur steht er seinen englischsprachigen Vorbildern in nichts nach. Der Ko-Autor ist laut Klappentext-Information Mythenforscher und Hundezüchter.

Sprachlich passen sich die neuen Passagen überraschend an den empfindsamen und stürmischen Duktus des Originals an. Sowohl erzählte Zeit (drei Monate bzw. Vollmonde) wie Erzählumfang sind wesentlich reduziert, die Dreiecksgeschichte radikal verändert. Werther ist hier ein Adliger, womit auch der Themenkomplex Adelskritik wegfällt, die nach den Lehrerfahrungen der Verfasserin für heutige junge Erwachsene stark erklärungsbedürftig ist. Dieser Remix dagegen will den LeserInnen unmittelbar unter die Haut gehen. Werther wird gleich am Anfang in seiner Wahlheimer Frühlingsseligkeit von einem Hund gebissen. Schon bei dem bekannten Unwetter, nach dem er mit Lotte tanzte, wachsen ihm behaarte Klauen. Eine Leseprobe sei hier einzufügen erlaubt. Statt dem Regen zu lauschen und mit Lotte Klopstock zu evozieren, reflektiert Werther:

Ich nämlich—Wilhelm, ich stocke, davon zu beginnen!—als ich, aufgewühlt durch Lottens Bekenntnis, sie sei dem anderen versprochen, das Blitzen und Donnern schaute, hineinstarrte in die sich entladende Natur, als ich, anders als die Gesellschaft, nicht ins Innere, sondern hinaus auf die Veranda trat, bemächtigte sich meiner ein Taumel, dem ich ganz ausgeliefert war, und der mich zwang, den Naturmächten hohnzulachen, als seien Sturm, Wetter und Blitz nicht im mindesten so zerstörerisch als mein eigenes Selbst! Was ist des Menschen wahre Natur? Ist sein lichter, ehrfurchtgebietender Geist und alle Vernunft, erworben durch Zeitalter des Menschheitsgeschlechts, nur durch ein nichtiges Etwas, dünn wie ein Blütenblatt, abgetrennt vom Urwüchsigen, dem Instinkt des Tieres, der wildesten, unbändigsten Kreatur? Wohin zieht es mich, Wilhelm, wohin bin ich denn unterwegs? Was ist dies gefährliche Brennen, genährt aus eigener Seele, zugleich Teil einer Kraft, die ganz außer mir liegt? Sind es Dämonen, fragte ich, während Wind und Wasser mich peitschten; wie soll ich mich ihrer erwehren, die Urgeister zurückdrängen in Sphären, denen sie entstiegen sind? Ich sah meine Hände, Wilhelm! zu Klauen gebogen, sah Haar wie Tierfell auf ihnen sprießen. Ich hörte Laute aus meiner Brust, die nichts Menschliches hatten; keinen Hund, keinen Vierbeiner habe ich je so grausig [End Page 265] knurren und hecheln hören. Und da mir’s so wund und schmerzvoll war, riß ich den Kopf hoch, hielt mein Gesicht in den unendlichen Regen und rang ein verzweifeltes Heulen hervor, das mir Erleichterung schuf.

(22–23)

So verwandlungsfähig kann Werwolf-Werther natürlich ganz anders um Lotte kämpfen. Mehr sei hier nicht verraten. Nur soviel: Im veränderten Schluss ist schon eine Fortsetzung angelegt, denn Lotte hat einen heimlich geborenen Sohn, so verrät uns der Erzähler und meint, “mag sein, man wird noch von ihm hören” (192).

Glaubt man den Kundenrezensionen auf diversen Buchhandlungs-Websites, so kommt das Buch bei jüngeren LeserInnen gut an. Es gelingt ihm sogar, für den radikal subjektiven Sprachstil des jungen Goethe zu begeistern und dazu anzuregen, mal (wieder) das Original zu lesen. Wer hätte das gedacht: Werther als Werwolf mindert Berührungsängste mit Klassikern. Als Präsentationsthema zur Werther-Rezeption in einem Kurs der Verfasserin war das Buch jedenfalls begehrt und wurde mit Enthusiasmus und einem guten Schuss Kritik zugunsten des Originals vorgestellt. Lernziel erreicht.

Waltraud Maierhofer
The University of Iowa
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